Endlich hat er es geschafft. Scholz, der Chef einer gescheiterten Koalition, ist von seiner Partei erneut zum Kanzler-Kandidaten erkoren worden. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Aus dem Munde des oft schweigsamen Politikers hören wir in diesen Tagen oft das Wort „Besonnenheit“. Was er damit sagen will? Vermutlich, dass nur er immer klar im Kopf ist. Die anderen sind in seiner Darstellung eher „unbesonnen“, sprich: leichtsinnig und verantwortungslos. Das Wort bezieht sich bei Scholz auf die militärische Hilfe für die von Russland angegriffene Ukraine. In diesem Punkt war er schon immer besonnen oder – klarer ausgedrückt – zögernd. Eigentlich wollte er gar keine Waffen liefern, aber dann gab er dem Druck nach und stellte mit der Zeit immer schwereres militärisches Gerät zur Verfügung. Sein grüner Koalitionspartner Habeck sagt es so: Die Entscheidungen des Kanzlers kamen immer sehr spät, zu spät. Mit dieser Besonnenheit also will Scholz den Sieg über die Merz-CDU davontragen. Die Taktik ist leider sehr durchschaubar. Die SPD wildert in der Klientel von AfD und BSW. Die wollen mit russlandfreundlichen Parolen Stimmen gewinnen. Das will der besonnene Scholz nun offenbar auch. Vielleicht hat er damit sogar Erfolg. Dass dann die Ukraine auf der Strecke bleiben wird, ist ihm vermutlich vor der Wahl egal. Mir scheint, hier wird mit dem schönen Nomen „Besonnenheit“ eine Politik des Appeasement betrieben. Die ist Ende der 1930er-Jahre schon einmal gescheitert. Aber wer mag sich daran noch erinnern?
Kategorie: Geschichte
Uneiniges Land
Der 3. Oktober lässt sich heuer neblig und ungemütlich an, als wollte auch das Wetter ein bisschen symbolisch sein. Im 35. Jahr des neuen deutschen Staates dräuen Wolken über ihm und mehren sich die trüben Eindrücke. Die Menschen in den östlichen Bundesländer haben sich offenbar anderes erwartet, als sie 1990 der Bundesrepublik „beigetreten“ sind: West-Mark, Reisen, Konsum, Wohlstand, „blühende Landschaften“, manche wohl auch Freiheit. Sie haben anfangs dieses Neue auch genossen. Bald aber wuchs der Frust: über die „Abwicklung“ ihrer oft nicht konkurrenzfähigen Firmen, den Verlust des Arbeitsplatzes, die Arroganz der Westler. Wenn ich Jessy Wellmers Buch „Die neue Entfremdung“ richtig verstanden habe, liegt das größere Versagen bei den Westdeutschen, die unsensibel und rücksichtslos den Osten plattgemacht haben. Eher weniger Schuld gibt die geborene Mecklenburgerin ihren „eigenen“ Landsleuten. Sie sollten nicht so empfindlich sein, sollten mehr die Chancen sehen als die Mängel. Die TV-Journalistin gibt sich große Mühe, uns „den Osten“ begreiflicher zu machen. Das gelingt ihr auch manchmal. Aber auch dieses durchaus lesenswerte Sachbuch schafft es nicht, uns die Denkweise derer „von drüben“ verständlich zu machen: In der DDR war nicht alles schlecht – akzeptiert. Man konnte, wenn man sich anpasste, ganz gut leben – mag sein. Aber warum dieser Rechtsruck, diese verbreitete Ablehnung der Demokratie, dieser Hass auf eine Regierung, die zwar nicht immer glücklich agiert, aber doch Beträchtliches geleistet hat, diese Unterstützung Putins beim Wiederaufbau des russischen Imperiums? Das Problem der Uneinigkeit besteht darin, dass wir im Westen die im Osten nicht richtig verstehen, dass aber auch – wage ich zu ergänzen – die drüben kaum Bereitschaft zeigen, uns Westler zu verstehen. Welche Spuren der DDR-Staat bei denen hinterlassen hat, die es vor der „Wende“ auf sich genommen haben, ihn zu betreten, davon redet niemand. Aber diese Demütigungen kann unsereins nicht vergessen. Verständnis dafür ist nicht zu erwarten.
Nationalistischer Protest
Die einen sind tief besorgt, die anderen reiben sich die Hände. Die Wahlergebnisse von Sachsen und Thüringen bedeuten eine Wende in der deutschen Nachkriegspolitik. Im Land des KZs Buchenwald erringt eine Partei die Mehrheit, die mit der nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands gnädig umgehen will. Es war ja „alles gar nicht so schlimm“ damals, die anderen waren „auch nicht besser“, es ist an der Zeit, das Thema zu den Akten zu legen, vor allem in den Schulen. Manche trösten sich, dieses Drittel der Wähler wolle halt gegen „die Ampel“ protestieren, im Grunde seien es liebe Menschen, die sich „nur etwas abgehängt“ fühlten. Halt „Verlierer der Wende“ oder dergleichen. Dass die DDR ein marodes, autoritär regiertes Staatswesen war, in dem eine Million Menschen damit beschäftigt war, die anderen zu bespitzeln, dass sie ein Teil des sowjetischen Imperiums war, das an seiner Unfähigkeit, sich zu modernisieren zugrunde ging – das sieht man in den „östlichen Ländern“ heute offenbar in einem verklärten Licht. Gewiss, bei der Einigung ging damals einiges schief, aber immerhin landete und landet seit 1991 ein großer Teil der 300 Milliarden Euro Solidarzuschlag im Osten und ermöglichte eine rasche Modernisierung der Infrastruktur. Aber das darf man nicht mehr laut sagen, denn wir im Westen sind an der Misere des Ostens schuld. Daher wählt man dort jetzt mehrheitlich eine faschistische Partei oder eine, die von einer Kommunistin geführt wird. Wenn die „drüben“ wirklich wieder so regiert werden wollen wie zwischen 1933 und 45 bzw. zwischen 1945 und 1990, dann sollte man ihnen diesen Herzenswunsch erfüllen. Nicht nur Orban würde es freuen. Und jene, die sich jetzt die Hände reiben, könnten endlich „die Sache“ in die Hand nehmen. Aber bitte verschont uns hier damit!