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Uneinsehbares Fernziel

Vielleicht spricht es ja für die solide Bescheidenheit des Kanzlerkandidaten der SPD, dass er sein gewaltiges Beschäftigungsprogramm („vier Millionen neue Arbeitsplätze“) auf elf Jahre streckt: Im Jahre 2020 könnte es mit ihm „Vollbeschäftigung“ geben. Das will er mit „grüner“ Technologie erreichen. Ein vernünftiges Ziel, gewiss, aber doch auch eines, dessen Erreichung in sehr weite Ferne gelegt wird. Fehlt es da etwa an Mut?

Sollte Steinmeier in diesem Jahr Bundeskanzler werden und 2013 zur Wiederwahl anstehen und es gäbe immer noch Arbeitslosigkeit, dann könnte er mit Fug und Recht darauf verweisen, dass es bis zum Jahre 2020 immer noch sieben Jahre seien, er also noch reichlich Zeit habe, sein Wahlversprechen von 2009 einzulösen.

Diese Agenda 2020 soll vermutlich die mit der 10 im Namen ablösen und vergessen helfen. Das ist unvernünftig, denn die Schröder’sche Agenda 2010 hat dem Vernehmen nach in recht kurzer Zeit so viele Arbeitsplätze geschaffen, wie sie Steinmeier nicht einmal bis 2015 erreicht haben will.

Es ist schon schwer, die Sozialdemokraten zu verstehen. Die Häme der politischen Gegner ist zwar wohlfeil, aber nachvollziehbar. Die Wahl im September wird immer spannender, denn ich vermute, dass „die arme SPD“ bei vielen guten Menschen den Mitleidseffekt anspricht. So könnte sie doch noch ein paar Wählerstimmen gewinnen und ein potenzieller Koalitionspartner bleiben.

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Ungelöster Knoten

Der Chefredakteur der SZBZ meldet (am 30.06.09) die Lösung eines gordischen Knotens: Die A 81 wird im Bereich Sindelfingen-Böblingen 850 m überdeckelt. Man nennt das übrigens in der Fachsprache „Einhausung“. Dieser Begriff passt insofern besser, als man auf eine Straße nicht einfach nur einen Deckel setzen kann wie auf einen Topf, sondern sie an drei Seiten bedecken muss, um den gewünschten Emissionsschutz zu erreichen.

Für viele sind die 850 m zu wenig; denn weite Bereiche der beiden Städte würden damit auch weiterhin – und künftig noch mehr – unter dem Autobahnlärm leiden. Trotzdem wird dieser Kompromiss gefeiert. „Alle haben sich bewegt“ kommentiert der Chefredakteur.

Aber was hat eine solche Einigung mit einem gordischen Knoten zu tun? Den haben einst die griechischen Götter so kunstvoll geknüpft, dass er nicht zu lösen war. Wer es dennoch schaffte, dem wurde die Herrschaft über Persien (heute haben wir an den Iran zu denken) verheißen. Eine attraktive Belohnung offenbar, denn viele haben sich erfolglos an der Aufgabe versucht. Aber sie war sehr schwierig, wie auch die Lösung des Iran-Problems heutzutage ziemlich verwickelt ist.

Erst Alexander, den man später den Großen nannte, hatte Erfolg. Er schlug den Knoten einfach durch und machte erst gar nicht den Versuch, ihn aufzudröseln. In einer späteren Überlieferungsvariante allerdings soll er den Pflock herausgezogen und so den Knoten aufgelöst haben. Für eine Weile darf Alexander dafür zum Herren in Persien werden.

Und was ist der Lohn für die Lösung des gordischen Knotens A 81, die doch keine Lösung, sondern nur einen den knappen Finanzen geschuldeten Kompromiss darstellt? Weil sich „alle bewegt“ habe, dürfen alle sich des Erfolgs rühmen. Wie schön, wie demokratisch!

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Unpädagogische Nichtversetzung 1: Daten

Unter den Betroffenen nannte man es einst „eine Ehrenrunde drehen“. Diese Formulierung verlieh dem Sitzenbleiben, der Nichtversetzung am Ende eines Schuljahrs, einen Hauch von Besonderheit: nur Sieger drehen Ehrenrunden. Auch wird aus dem statischen Sitzen Mobilität, denn Runden werden gefahren. Allerdings beschränkt sich die Bewegung in Wirklichkeit auf einen Wechsel der Klasse. Dort allerdings langweilt man sich ein Jahr lang und/oder nervt die Lehrer. Ein Lebensjahr wird sinnlos vertan, häufig jedenfalls.

Wir wissen nicht, wie viele Sitzenbleiber das kommende Schuljahr bestehen und mit welchem Erfolg. Wir wissen auch nicht, wem das Wiederholen tatsächlich etwas gebracht hat. Ich vermute, dass es nicht viele sind, sicher nicht mehr als der Hälfte aller Sitzenbleiber.

Am Ende des Schuljahrs 2007/2008 sind 2,5% aller Gymnasiasten nicht versetzt worden; dabei sind diejenigen nicht mitgerechnet, die das Abitur nicht auf Anhieb geschafft haben. 2,5%, das waren 6849 Schülerinnen und Schüler, allerdings bildeten Letztere die Mehrheit (3,2% Jungen gegenüber 1,8% Mädchen). Die meisten Nichtversetzungen gab es am Ende der Klasse 10 (4,3%) und in der Region Stuttgart (2,9%), zu denen Böblingen und der Rems-Murr-Kreis gehören.

Leider macht das Statistische Landesamt keine Angaben über die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die auf Probe versetzt wurden und diese Probezeit bei den Nachprüfungen im Oktober bestanden haben. Wir wissen auch nicht, wie viele nach §1,(3) der Versetzungsordnung versetzt worden sind, bei denen der Zeugniskonvent also der Meinung war, sie könnten es trotz ihrer schlechten Noten im kommenden Jahr schaffen.

Fast siebentausend Wiederholer allein in den Gymnasien des Landes Baden-Württemberg. Was das den Steuerzahler wohl kostet? Und was es letztendlich bringt? Werden die Wiederholer pädagogisch begleitet? Hat man ein Auge auf sie? Werden sie gefördert? Ich vermute: eher nicht.

Was soll das also, dieses Nichtversetzen? Schon die Sprache ist verräterisch: Man lässt jemanden „durchfallen“ – wo fällt er (oder sie) hin? Jemand bleibt „sitzen“ – und wer hilft ihm (oder ihr) aufzustehen und mit mehr Motivation die Schulzeit zu durchlaufen.