Kategorien
Politik

Basisdemokratische Exzesse

Die Sozialdemokraten machen uns vor, wie die demokratische Ordnung der Zukunft aussehen wird. Sie haben einen Parteitag darüber abstimmen lassen, ob ein Sondierungsergebnis es zulässt, in weitere Verhandlungen mit den Christdemokraten einzutreten. Über dessen Ergebnis soll dann ein Parteitag abstimmen. Den könnte man anschließend auch entscheiden lassen, ob die Verteilung der Ministerposten in Ordnung ist. Ich wundere mich auch, dass die SPD-Basis erst so spät ins Spiel kam. Hätte sie nicht zuerst die Entscheidung prüfen müssen, mit der CDU Sondierungsgespräche zu führen? Denn schließlich handelte ihr Vorsitzender da anders, als er es in seinem Zorn nach der Wahlniederlage angekündigt hatte. Schon damals, am Wahlabend, habe ich mich über Schulz gewundert. Durfte er sich überhaupt gegen eine neue große Koalition aussprechen, ohne seine Partei vorher zu fragen? Aber, gesetzt den Fall, das schwarz-rote Regierungsbündnis kommt zustande, wie sieht es danach mit der Beteiligung der SPD-Parteigenossen aus? Es werden vermutlich Gesetze entstehen. Und die dürfen dann einfach durch bloßen Parlamentsbeschluss in Kraft treten? Ohne dass die SPD-Basis vorher ihre Zustimmung zur Abstimmung über das Gesetz gegeben hat? Und geht es an, dass der Bundespräsident ein Gesetz unterzeichnet, ohne vorher die Mitglieder der SPD um Erlaubnis zu fragen? Und warum werden nur die SPD-Menschen vorher gefragt? Man muss uns doch alle beteiligen. Eine demokratische Teilhabe wäre per Demoskopie möglich oder in Form einer Debatte in den sozialen Netzwerken oder durch Volksabstimmung. Das wäre teuer, aber gewiss gut angelegtes Geld. Man sieht es ja an der Schweiz. Manchmal frage ich mich allerdings, warum wir überhaupt über 700 Abgeordnete wählen, wenn wir ihnen nichts erlauben, wenn wir ihnen nicht zumuten, ihren Auftrag als „Vertreter“ des Volkes zu erfüllen, sondern alle Entscheidungen selber treffen wollen.

Kategorien
Politik

Rechtsruck

Es ist mit Händen zu greifen: Das Land bewegt sich politisch nach rechts. Die Zeitung titelt heute, dass große Teile der Christlich-Demokratischen Union (CDU), angeführt von einem Adligen (von Stetten) zu Anhängern Seehofers geworden sei. Gestern war zu lesen, dass die einstige Vertriebene, die CDU-Politikerin Steinbach, gegen die Politik der Kanzlerin zu Felde zieht – und das, obwohl sie, wie sie beteuert, Frau Merkel liebe. Umfragen werden zitiert, die deren Umfragewerte und die ihrer Partei als im Sinkflug begriffen beschreiben. Dafür gewinnen AfD und Pegida an Zuspruch. Wir nähern uns offenbar den Europäern an, auch in der neuen Liebe zu den Rechtskonservativen. Für einen noch größeren Zuspruch fehlt wohl nur der geeignete Führer, ein Orban, Kaczynski oder Wilders oder eine Le Pen. Aber vielleicht tut es auch Frau Petry. Ich maße mir keineswegs an, diese Entwicklung zu leugnen, verhehle aber nicht, dass sie mir Sorgen bereitet. Wenn das Land schon bei prosperierender Wirtschaft, steigenden Löhnen und Renten zu den schönen Parolen der Nationalisten flüchtet, wie wird das erst werden, wenn die ökonomischen Daten schlechter werden, die Zahl der Arbeitslosen wieder steigt, wenn Griechenland zu teuer wird, wenn der Wandel des Klimas ernsthaft zu spüren ist, wenn wir eine Energiekrise bekommen oder wenn die von der EZB herbeigesehnte Inflation heftiger als gewünscht ausfällt? Es wurde uns immer eingeredet, Deutschland sei eine stabile Demokratie, die kein Wind so schnell umblase. Es zeigt sich nun, dass dem nicht so ist. Auch hier werden die Gruppierungen vom rechten (und bald auch vom linken) Rand Honig aus der Krise saugen. Die Schlägertrupps und die Brandstifter rüsten auf. Den verbalen Faschisten muss man bereits das Kommentieren erschweren. Der Rassismus wird salonfähig. Es gibt inzwischen genügend Ausländer, die man zu Sündenböcken erklären und attackieren kann. Deutschland ist offenbar tatsächlich überfordert, ein wenig bei der Logistik der Flüchtlingsunterbringung, aber viel mehr bei der Bewahrung demokratischer Gelassenheit.

Kategorien
Politik

Demokratismus

Endlich haben wir mal wieder ein Thema, bei dem sich grundsätzliche Positionen vertreten lassen. Ist der Mitgliederentscheid der SPD über den Entwurf des Koalitionsvertrags bedenklich oder erfreulich?

Wer ihn erfreulich findet, verweist auf den Zuwachs an Demokratie. In den Worten des SPD-Erzengels Gabriel: „Es ist demokratischer, wenn Hunderttausende über eine Sache bestimmen, als wenn das nur ein paar Hundert tun.“ Wäre es in der Logik dieser Argumentation nicht noch demokratischer, alle Wahlberechtigten der Bundesrepublik Deutschland darüber abstimmen zu lassen? Und noch demokratischer könnten wir uns fühlen, wenn auch jedes Gesetz dem Volk zur Abstimmung vorgelegt würde. Dann, endlich, hätten wir alle Bürger im Boot.

Die erhöhten Kosten für die Wahlakte ließen sich teilweise kompensieren durch eine Verkleinerung des Bundestags, dessen Bedeutung dann gegen Null schrumpfen würde. Spätestens da kommen vielleicht auch dem glühendsten Vertreter dieser Demokratisierungswelle einige Zweifel.

Bisher, so dachte ich, war diese Republik eine repräsentative Demokratie. Wir haben Leute gewählt, die politische Entscheidungen treffen sollten. Dafür bekommen sie Zeit und Geld. Sie sollten mit Sachverstand und verantwortungsbewusst handeln, möglichst frei von Beeinflussung. Ein „imperatives Mandat“ galt bisher als verfassungswidrig. Das scheint sich nun zu ändern, mit problematischen Folgen, wie ich meine. Am Beispiel der SPD: Wenn die Mitglieder den Vertrag ablehnen sollten, die Bundestagsabgeordneten der SPD ihn aber gut fänden – was dann? Oder umgekehrt: Was soll geschehen, wenn das Parteivolk zustimmt, eine größere Gruppe von Abgeordneten aber dagegen ist? Das wird natürlich nicht passieren; denn welcher Abgeordnete würde sich gegen ein Mehrheitsvotum des Parteivolks stemmen? Er muss, ob er will oder nicht, seine Freiheit auf dem Altar der Basisdemokratie opfern.