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Bahnlos

Wer seinen Beitrag zur Verschmutzung der Luft reduzieren will, hat mehrere Optionen. Man kann z. B. weniger heizen – das geht im Sommer ganz gut. Man kann auf Flugreisen verzichten und zu Hause bleiben. Der Blick auf das Grün hinterm Haus und in der Siedlung ersetzt zwar das Bad im Mittelmeer nicht ganz, aber dafür ist die Ökobilanz deutlich besser. Man kann zur Erreichung dieses Zieles auch weniger mit dem Auto fahren. Allerdings bleibt ein letzter Rest an Mobilitätsbedürfnis. Das könnte der öffentliche Nahverkehr stillen, fahren doch Busse und Bahnen hierhin und dorthin. Ein Blick in die entsprechende App hilft manchmal weiter. Aber leider ist das Angebot an Fortbewegungsmöglichkeiten in diesem Sommer deutlich reduziert. Ich meine jetzt nicht Rastatt und die eingesunkenen Gleise. Das ist ein spezielles Problem, das ich als späte Rache von Vater Rhein für die Verunstaltung seines Flussbettes deute. Nein, es geht um den Raum Stuttgart. Dort hat sich die Bahn den Tadel wegen der unzureichenden Sanierung ihrer Bahnkörper dermaßen zu Herzen genommen, dass sie jetzt hemmungslos bauen. Ganze Streckenabschnitte sind stillgelegt. Häufig fallen Züge aus. Die privaten Bahnbetreiber lassen sich nicht lumpen und ziehen mit. Ihre Loks ruhen sich in den Depots aus. Das alles lässt sich trefflich begründen: Weil eh alle verreist sind, merken nur wenige, wie dürftig die Situation des Nahverkehrs derzeit ist. Die Zurückgebliebenen verringern ihre Emissionen. Aber sie sind auch zu Hause fehl am Platz. Denn sie wagen es, Busse und Bahnen nutzen zu wollen. Wären auch sie weg, könnte die Bahn den Verkehr ganz abschalten und endlich ungestört arbeiten.

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Die S 60 und das Schnupperfahren

Der 8. Dezember war – obwohl ein Samstag – rot im Kalender angestrichen. Der Grund: Der Abschluss eines Vierteljahrhundertwerks ereignet sich, die S 60 nimmt ihre regelmäßige Fahrt von Böblingen nach Renningen auf. Vom Nachmittag bis in die späte Nacht sind die Bürger zu Schnupperfahrten eingeladen. Wer will sich das entgehen lassen?

So schreiten wir denn, Großvater, Vater und Enkel hoffnungsfroh zum neuen Haltepunkt Maichingen Nord. Es ist bereits dunkel, aber der Bahnsteig ist hell erleuchtet. Es gibt einen Aushang mit dem Fahrplan, der ab Sonntag (9.12.) gilt und einen, der für den Tag des Schnupperns eigens erstellt wurde. Drei Mitarbeiter der Bahn, Kundenberater ihres Zeichens, warten auf die Kunden, die mal S 60 schnuppern wollen. Aber es gibt nichts zu schnuppern.

Die Anzeige funktioniert. Sie kündigt das Kommen eines Zuges nach Renningen binnen weniger Minuten an. Aber die Minuten verstreichen, keine Bahn kommt. Es gebe ein Problem auf der Strecke, sagen die Berater, aber Genaues wüssten sie leider auch nicht. Das Internet meldet keinerlei Störung auf der neuen Strecke. Der Lautsprecher ist installiert, aber er spricht nicht laut, sondern bleibt stumm. Es sei wohl eine Weiche vor Renningen defekt, heißt es nun – die Kälte, man müsse das verstehen. Wir verstehen: Unter 0 Grad funktionieren manche Weichen nicht mehr. Nach fast einer halben Stunde Wartezeit resignieren wir. Andere wollen noch ausharren. Als wir 100 m vom Bahngleis entfernt sind, kommt eine S 60 – auf dem anderen Gleis. Wer mitfahren will, kann, treppab, treppauf, die andere Seite erreichen; vielleicht wartet die Bahn auf ihn. Von der Ferne ist nicht auszumachen, ob alle Schnuppergäste rechtzeitig da waren. Der Zug entschwindet in Richtung Magstadt.

Wenn die Generalprobe scheitert, heißt es, wird bei der Premiere, morgen also, alles gut. Oder sollen wir dieses Missgeschick als Zeichen deuten und auf andere, größere Projekte der Bahn übertragen?