Kategorien
Politik

Dänische Sklavenhaltung

Auch Dänemark hatte einst Sklaven. Rund 150 Jahre, bis zum europäischen Freiheitsjahr 1848, schufteten auf den Westindischen Inseln tausende Schwarzer aus Afrika unter erbärmlichen Lebensbedingungen, um für die dortigen Pflanzer einen kostengünstigen Anbau von Zuckerrohr zu ermöglichen. Die Kolonie war für die Skandinavier recht einträglich. Erst als der Zucker aus heimischen Rüben noch billiger produziert werden konnte, gab man die Sklaven frei. Sie lohnten sich nicht mehr. Die Westindischen Inseln, Saint Croix, Saint Thomas und Saint John, verkauften die Dänen dann 1917 für einige Dollar an die USA. Mich Vraa erzählt in seinem 2019 erschienenen Roman „Jetzt seid ihr frei“ die Geschichte der Sklaverei unter dänischer Verantwortung anhand zweier Personen: Peter von Scholten war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über 20 Jahre Gouverneur der Karibikinseln, die wohlhabende Mulattin Maria Eide gründete dort eine Schule für die Kinder der Schwarzen. Von dieser Maria war schon in Vraas Roman „Hoffnung“ die Rede. Peter von Scholten wird als eine zwielichtige Gestalt gezeichnet. Er bereicherte sich an den Erträgen der karibischen Kolonie, tätigte dunkle Geschäfte im Auftrag des dänischen Königs, hatte mehrere Frauen, aber er war auch maßgeblich beteiligt an der Befreiung der „Neger“, wie sie, historisch korrekt, im Buch genannt werden. Der Autor erzählt das rund 50 Jahre umfassende Geschehen vor allem aus der Sicht der Hauptfiguren, die er Tagebücher und Briefe schreiben lässt. Diese fiktiven Texte ergänzt er durch historische Quellen. So entsteht ein vielschichtiges Bild dieses unrühmlichen Kapitels dänischer Geschichte.

Kategorien
Politik

Verstummte Autoren

Zwei Vertreter der israelischen Literatur sind 2018 gestorben: Amos Oz und Aharon Appelfeld. Oz war der Chronist des neuen Staates und sein kritischer Begleiter. In seiner Lebensgeschichte, die von „Liebe und Finsternis“ geprägt ist, erzählt er vom Werden des Staates Israel. Noch bis kurz vor seinem Tod mahnt er zur Versöhnung mit den Palästinensern. Appelfeld war weniger im Rampenlicht. Daher sei von ihm und seinem Roman „Auf der Lichtung“ (2014) kurz die Rede, Es ist der vorletzte von 46 Romanen, die er geschrieben hat. Auch hier schöpft der in Czernowitz Geborene aus seinem eigenen Leben, der Kindheit und Jugend in der Ukraine, der Bedrohung durch den Zweiten Weltkrieg, der Vernichtung der Juden. Edmund, der Ich-Erzähler dieser Geschichte, ist 17 Jahre alt. Er wächst in einer bürgerlichen Familie auf, besucht das Gymnasium. Vor dem Abitur muss er es wegen der deutschen Verfolgung verlassen. Die Eltern werden deportiert. Er kann fliehen und schließt sich einer jüdischen Widerstandsgruppe an. Sie agieren in den Wäldern der Karpaten als Partisanen. Der Anführer (Kamil) legt großen Wert auf die Vermittlung der humanen Werte eines reflektierten Judentums in der Tradition Martin Bubers. Ihr militärisches Ziel ist es, durch Sabotage-Akte den Abtransport der jüdischen Bevölkerung in die KZs zu stören und möglichst viele Menschen vor dem Tod zu bewahren. Die Geretteten verstecken sie in einem relativ sicheren Berglager und pflegen sie, so gut es geht. Dann beschießt ein deutsches Kommando das Lager mit Granaten. Kamil und andere sterben. Auch wenn viel vom Kampf gegen die deutschen Besatzer erzählt wird, wichtiger sind die Porträts der Menschen, die sich dieser gefährlichen Aufgabe stellen. Da gibt es den an Depressionen leidenden Kommandanten Kamil und seinen schweigsamen Stellvertreter Felix, den überzeugten Kommunisten Karl, den religiös inspirierten Isidor, das stumme Kleinkind Milio und seinen „Ersatzvater“, eine weise Alte, eine unermüdlich arbeitende Köchin, das Mädchen Miriam – ihre Lebensgeschichten gehen unter die Haut. Appelfeld erzählt sie in einer schlichten, schnörkellosen Sprache, die von Mirjam Pressler sensibel übersetzt wurde.

Kategorien
Politik

Alice im Sterbeland

Sie ist 1970 geboren und gilt als literarische Hoffnung: Judith Hermann, derzeit wohnhaft in Berlin, Prenzlauer Berg. 2009 hat sie „Alice“ veröffentlicht; das ist kein Roman, aber auch keine Sammlung von Erzählungen – oder doch irgendwie: das Buch hat fünf Kapitel mit fünf Geschichten von fünf Männern, die alle sterben oder schon tot sind. Und was hat das mit Alice zu tun?

Alice ist die Frau, die den Lebensweg der sterbenden Männer gekreuzt hat und ihnen auf sehr unterschiedliche Weise begegnet ist. Ob sie ihnen nahe war, bleibt offen, aber ihr Tod geht Alice nahe. Sie erlebt ihn als Beunruhigung, Bedrohung und Verlust. Die Toten verändern ihr Leben.

Mit Micha, dem „Helden“ der ersten Geschichte, war Alice befreundet, ehe er sich mit Maja verbunden hat. Nun liegt er im Sterben, in einem Krankenhaus in Zweibrücken, und die beiden (recht unterschiedlichen) Frauen sowie das Kind, das Maja mit Micha hat, warten in einer Ferienwohnung auf das Ende des Mannes. Sie sprechen nicht viel miteinander, aber sie erleben das Sterben als einschneidenden Bruch und Abbruch in ihrer eigenen Existenz.

Das Besondere dieses berührenden Buches ist seine Sprache. Die Sätze sind kurz und knapp, oft elliptisch, nur manchmal werden sie länger, ausgreifender, hypotaktisch. Die Verfasserin schafft mit diesen Sätzen eine Welt, in der die Dinge scheinbar unverbunden nebeneinander stehen, aber doch aufeinander bezogen sind. Die Menschen sprechen wenig miteinander, wir Leser spüren mehr, als dass wir es gesagt bekommen, was sie und wie sie denken und fühlen. Das wirkt karg und auch auf den ersten Blick etwas glanzlos, doch es entsteht eine unnennbare Spannung, die uns einfängt und mitnimmt – und einnimmt für diese Frau mit dem Namen Alice, die am Sterben der Männer leidet.

(Blog-Eintrag Nr. 171)