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Thesenanschlag

Während der Glanz, der vom Reformationsjubiläum in die Gesellschaft strahlen sollte, am Verblassen ist, sind ein paar Thesen fällig, die sich nicht gegen die katholische, sondern die evangelische Kirche richten. Die erste: Diese Kirche verdient das Prädikat „protestantisch“ nicht mehr, hat sie sich doch zu sehr eingerichtet in den herrschenden Verhältnissen. – Die zweite These, sich aus der ersten ergebend: Dieser Kirche fehlt der Mut, drängende Probleme nicht nur zu benennen, sondern deren Lösung einzufordern. Solche Probleme wären z. B.: die sprachliche Integration der Zuwanderer ernsthaft zu betreiben, die soziale Schieflage, das Auseinanderdriften der Gesellschaft beim privaten Vermögen anzuprangern und ernst zu machen mit der Vision, dass jeder Bürger und jede Bürgerin für sich, seine Familie und seine Zukunft eigenverantwortlich handeln kann, die Veränderung des Klimas und deren Folgen deutlich zu benennen und eine radikale Änderung der privaten Lebensführung anzumahnen. – Die dritte These: Während die evangelische Kirche nach Luthers Aktionen wuchs und wuchs – zum Leidwesen der Katholiken – lässt sich derzeit ihr Schrumpfen nicht mehr aufhalten. In regelmäßigen Abständen werden neue Pläne erstellt, die nichts anderes sind als Programme zum Stellenabbau. In Sindelfingen zeigt sich das am sonntäglichen Gottesdienstprogramm. Nur noch selten werden alle Teilgemeinden „bespielt“, die Sonntage mit „zentralem Gottesdienst“ nehmen zu. – Die vierte These: Die im letzten Jahr genährte Illusion, man sei eine Kirche für alle, muss auf den Müll. Man ist eine schrumpfende Minderheit, nicht nur im Osten der Republik. Man hat an Attraktivität verloren. Die Kirchenaustritte überwiegen die Eintritte. Da wird es Zeit, sich vom Staatskirchenmodell zu verabschieden und neue, „privatere“ Strukturen aufzubauen. Weg vom Zentralismus des „Ober“kirchenräte, hin zu einer Struktur mit flacher Hierarchie, wo auch die „Oberen“ nur Gleiche unter Gleichen sind. Das bedeutet, die Verantwortung der Ortskirchen zu stärken. – Die fünfte These: Auch wenn es Pfarrer gibt, die 20 Minuten predigen können, ohne dass man sich tödlich langweilt, die Form des klassischen Gottesdienstes ist nicht mehr geeignet, die Menschen bei der Stange zu halten. Man kommt in diesen Gottesdiensten nicht zu Wort, man darf „das Wort“ allenfalls hören. Ob das einer mündigen Gesellschaft adäquat ist?

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Die Christen und die Grünroten

Endlich wird sie auch in den Medien zum Thema: die innige Beziehung zwischen einigen (meist protestantischen) Christen und dem grünroten politischen Lager. Namhafte Gestalten der evangelischen Kirche (Göring-Eckardt, Füllkrug-Weitzel) haben sich zu Werbeträgern der Grünen und der SPD erheben lassen. Sie wollen damit ihre christliche Überzeugung in den politischen Alltag einbringen.

Nun ist nichts dagegen zu sagen, dass Christen das tun, was von uns allen erwartet werden kann: sich in die Gestaltung unserer Gesellschaft einzumischen, für den rechten, menschenfreundlichen Weg zu kämpfen und bei den allfälligen demokratischen Kompromissen für die Benachteiligten, ungerecht Behandelten, zu wenig Gehörten etwas mehr herauszuholen. Nur: Was die beiden doppelnamigen Frauen tun, ist nicht in Ordnung: Denn sie benutzen ihre Popularität in der Kirche, ihren mit dem Amt verbundenen Bonus, um damit die Wähler zu beeinflussen. Beide Damen sagen zwar, ihr Amt ruhe derweil, aber sie haben nichts dagegen, als Präses der Synode der EKD oder als Präsidentin der Diakonie vorgestellt zu werden. Klar, das bringt Stimmen, weil das Amt als christlich-solide gilt. Im Übrigen war der Spendenaufruf der Diakonie dieser Tage von Füllkrug-Weitzel unterschrieben. So ganz ruht das Amt wohl noch nicht.

Nur nebenbei sei’s erwähnt: Wer als normaler Beamter mit seinem Amt politisch wirbt, muss sich auf ein Disziplinarverfahren gefasst machen. Das Amt gebietet Zurückhaltung. Ich finde, ein christliches Amt gebietet das auch.

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Die katholische Kirche und der Rückschritt

Die Katholiken feiern den Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren. Als Protestant frage ich mich, was es da zu feiern gibt. Denn wo einst dem Fortschritt grünes Licht gegeben wurde, stehen heute die Ampeln auf Rot. Das sei an zwei Beispielen aus meinem eigenen Lebensbereich deutlich gemacht.

Gegen Ende der Sechziger Jahre hatten die jungen Religionslehrer am Gymnasium in den Pfarrwiesen (Sindelfingen) den Eindruck, dass der konfessionelle Religionsunterricht sich überholt habe. Wir beschlossen daher, in der Oberstufe interkonfessionell zu unterrichten. Die Schülerinnen und Schüler bekamen zum Schuljahrsbeginn die Wahl zwischen mehreren Kursen, die jeweils mit zwei Lehrern besetzt waren. Auch der Ethiklehrer war Teil eines solchen Teams. Nach ein paar Jahren zwang uns die Personalknappheit dazu, diese konfessionell gemischten Gruppen nur noch mit einer Lehrkraft zu besetzen. Niemand hat eingegriffen, weder der Schulleiter noch die Kirchenleitungen. Eltern und Schüler waren damit einverstanden. Im Rundfunk gab es eine Sendung über dieses „Sindelfinger Modell“. Doch eines Tages wurde die Sache verboten. Sie verstieß nun gegen kirchliche Regeln.

Im Sindelfinger Stadtteil Hinterweil gab es in den 1970er Jahren einen ökumenischen Ausschuss, der Gottesdienste mit gemeinsamem Abendmahl und zwei Geistlichen veranstaltete. Es gab viel Zustimmung zu diesem Zeichen christlicher Gemeinsamkeit. Doch eines Tages haben es konservative Katholiken geschafft, die Sache zu unterbinden. Die Kirchenleitung sah Regeln verletzt.

50 Jahre fortschreitender Rückschritt sind kein Grund zum Feiern.