Kategorien
Politik

Die Zeitung und das Verständnis

Seit Wochen, ja eigentlich schon seit Monaten bittet mich die Stuttgarter Zeitung darum, sie zu verstehe, genauer: Verständnis aufzubringen. Und wofür? Dass sie so dünn geworden ist. Reichlich abgemagert liegt sie morgens im Briefkasten, heute sogar mit verknickten und verdruckten Seiten. Das ist, ist zu hören, die Folge des Arbeitskampfes, der sich in ihrem Hause abspielt. Offenbar ist man sich dort nicht einig über die Bezahlung der Redakteure. Das verstehe ich auch. Es ist ein normaler Vorgang in einem Staat, in dem das Gehalt zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt wird. Die Jornalisten wollen mehr verdienen, als ihnen die Verleger zubilligen. Zahlen werden zwar selten kaum genannt, aber offenbar sind die Jungredakteure nicht damit zufrieden, nur so viel zu verdienen wie ein Junglehrer.

Was ich nicht verstehe: Warum dauert dieser Streit und damit auch der Streik nun schon seit Monaten? Warum einigt man sich nicht, wie es sich für Tarifpartner gehört? Warum speist man die Kunden ständig mit „Notausgaben“ ab. Die sollen zwar weiter den ganz vollen Betrag für ihr Abonnemnt bezahlen, bekommen dafür aber nur eine halbleere Zeitung.

Ob es den Zeitungen und ihren Mitarbeitern mit diesem Kampf ums Geld gelingt, den Kampf gegen die elektronischen Medien zu gewinnen?

Kategorien
Politik

63 Jahre und kein bisschen Ruhe

Manchmal wird mir schlagartig klar, warum wir uns Tageszeitungen halten. Heute zum Beispiel, am 18.5.11, beschenkt uns die Stuttgarter Zeitung auf Seite 6 unter einem großen Foto mit einem vierspaltigen rührenden Artikel über eine Pressekonferenz des neuen Ministerpräsidenten. Schon die Schlagzeile reißt den Leser mit: „Kretschmann beginnt mit dem Regieren“. Das zu hören beruhigt. Er könnte ja auch Ferien machen.

Unter der großen Überschrift werden weitere wichtige Nachrichten angekündigt, nämlich dass Herr K. vom Atomausstieg und von Stuttgart 21 „in Atem gehalten“ werde. Gut zu wissen, dass ihm diese Probleme Luft verschaffen.

Den Textteil leitet ein Satz ein, der an unser Empathievermögen appelliert: „Das Amt des Ministerpräsidenten kennt keinen Stillstand.“ Der arme Herr Kretschmann! Dann heißt es, er sei „zu einem ganz normalen Arbeitstag angetreten, an dem er gleichwohl sein 63. Lebensjahr vollendete.“ So schön und einfühlsam wurde noch selten über einen Politiker geschrieben. Vor allem das Wörtchen „gleichwohl“ verbreitet eine liebliche Atmosphäre. Was für ein wunderbarer, pflichtbewusster  Mensch ist das, der arbeitet, obwohl er Geburtstag feiern könnte! Glücklich das Land, das solche Regierenden hat!

Glücklich auch, wer eine solche Zeitung lesen darf. Steht doch in besagtem Artikel auch noch geschrieben, dass der Ministerpräsident mit einem „prallen Arbeitsprogramm“ belastet sei, dass sich seine Regierung „erst noch sortieren“ müsse und dass er trotzdem in der Pressekonferenz „was zu sagen“ gehabt habe. Und was? Er plädiere für den „schnellstmöglichen Ausstieg“ aus der Kernenergie und wolle bei S 21 erst den Stresstest abwarten. Ohne Zweifel, Herr K. hat was zu sagen. Und meine Zeitung ist davon begeistert.

Kategorien
Politik

Überschrieben – Alliteration in der Zeitung

Ob bei der Stuttgarter Zeitung Alliterationen und Anaphern in der Überschrift erlaubt seien, wurde ein Redakteur von Schülern gefragt (18.12.09). Die müssen einen anspruchsvollen Deutschunterricht genießen, wenn sie mit diesen Begriffen umgehen können. Die Antwort des Mannes von der Zeitung, der mit der Anapher nichts anfangen kann: Im Prinzip sei gegen diese Stilmittel nichts einzuwenden. Warum auch? Dazu sind sie schließlich da.

Die Alliteration kommt in der mittelalterlichen Dichtung beim Stabreim vor. Das grauslige Hildebrandslied liefert dazu ein Muster. Ob die Schüler es gelesen haben? Gemeint ist, dass Wörter, die nahe beieinanderstehen, in ihren Anfangsvokalen oder -konsonanten übereinstimmen: „Angst im Alltag der Arbeit“, „Luft und Leben“, „Brich mit den Hungrigen dein Brot“.

Suchen wir mal in der genannten Zeitung nach Überschriften dieses Musters. Gleich auf der ersten Seite ist zu lesen: „Wer wenig verdient, ist viel wert“ – über die volkswirtschaftliche Bedeutung von Putzfrauen. Und links daneben steht: „Grundsteuer steigt“ – in Stuttgart. Das wird auf Seite 21 gesteigert: „Die Grundsteuer steigt so stark wie nie zuvor“ – eine gekonnte Steueralliteration. Auf Seite 4 können wir lesen: „Merkel mahnt globale Kraftanstrengung an“ – in Kopenhagen. Seite 9: „Manager meditieren im Kuhstall“ – das baut offenbar Stress ab. Seite 11 steht eine Überschrift mit doppelter Alliteration: „Bosch beteiligt Mitarbeiter an Kosten der Kurzarbeit“ – so will man ihre Nichtentlassung finanzieren.

Schließlich auf Seite 18 die wunderbare Überschrift: „Nachfrage durch Nachwuchs“ – ein Leserbrief über die ökonomische Seite des Kinderkriegens. Und auch Anaphern hat die Zeitung zu bieten: „Mal lyrisch, mal dramatisch“ und „Ohne Mann, ohne Kind und ohne Dach in Barcelona“. Wieder einmal mehr liefert die aktuelle Zeitung Material für den Unterricht. Die Schüler könnte es freuen.

(Blog-Eintrag Nr. 124)