Kategorien
Politik

Scheingefechte

Es ist in diesen Tagen schier unmöglich, die Wahrheit in der Wirklichkeit zu erkennen. War der Gestörte von Nizza fremdgesteuert oder kam die Vernichtungswut aus seiner kaputten Seele? Haben wir es mit IS-Irrsinn oder einfach „nur“ einem Irrsinnigen zu tun? Und wenn wir es wüssten, was würde es uns sagen? Dass der persönliche Wahnsinn den globalen religiösen Wahn anzieht und ihn quasi „verkörpert“? Und der türkische Putsch? Es fällt mir schwer, ihn irgendwelchen Offizieren zuzuschreiben, denn ein gelernter Kriegsmann fängt keinen Kampf an, von dem er schon zuvor wissen kann, dass er ihn verliert. Es bleibt als Drahtzieher also nur der Mann an der Spitze übrig. Seit Schillers „Maria Stuart“ wissen wir Germanisten, dass die ganz Mächtigen vor keiner Untat zurückschrecken, wenn es um den Erhalt oder die Festigung ihrer Macht geht. Kann man den Satz „Dieser Mortimer starb euch sehr gelegen“ umschreiben auf türkische Verhältnisse? „Dieser Putsch kommt euch sehr gelegen“, Herr E., denn nun könnt ihr endlich jene Säuberungen vornehmen, die schon lange anstehen. Mit „Säuberungen“ (was für ein harmloses Wort für ein blutiges Geschäft), mit solchen Machtsicherungsaktionen kennen wir uns aus: Stalin und Hitler waren darin Spitze. Wer auch nur ein wenig nach Gegner riecht, wird gefangen gesetzt und irgendwann liquidiert. Ein Fünftel der Richter in der Türkei sei bereits entlassen worden und hinter Schloss und hinter Schloss und Riegel. Haben die geputscht? Oder sind sie nur keine AKP-Parteigenossen? Es ist schon schlimm, dass man mit einem solchen Regime paktieren muss.

Kategorien
Politik

Nemesis

Es ist ein heißes politisches Eisen, das Thema des 2014 erschienenen Romans Tage der Nemesis von Martin von Arndt; es geht um den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs. Schon Franz Werfel hat darüber einen bedrückenden Roman geschrieben: Die vierzig Tage des Musa Dagh. Als Genozid bewertet man im westlichen Europa den Tod von 1,5 Millionen Menschen armenischer Herkunft. Die offizielle Türkei sieht das auch heute noch ganz anders. Im offiziellen Deutschland der 1920er Jahre teilte man die türkische Auffassung. Beide Länder waren im Ersten Weltkrieg verbündet, und an einem Verbündeten mäkelte man nicht herum.

Es ist Martin von Arndts Verdienst, dass er die Lynchjustiz überlebender Armenier an den Verantwortlichen des Massakers in eine Handlung einbettet, die widersprechende Meinungen zu Wort kommen lässt. Gegeißelt wird die Tötung unschuldiger Menschen im Osmanischen Reich, kritisiert wird aber auch die armenische Lynchjustiz auf deutschem Boden. Der Autor hat die Ereignisse von damals offenbar gut recherchiert. Seine Geschichte spielt in den anderthalb Jahren vom März 1921 bis zum September 1922 an den Schauplätzen Berlin und Rom. Im Mittelpunkt der Kriminalgeschichte steht der (fiktive) Ermittler Eckart und seine Mitarbeiter, der loyale Assistent Rosenberg und der weniger loyale und mutmaßlich künftige Nationalsozialist Wagner. Eckart will das Attentat auf einen Exiltürken mit den üblichen Polizeimethoden aufklären, gerät dabei aber in das Räderwerk der politischen Interessen Deutschlands und der neuen türkischen Machtelite. Eine wirkliche Aufklärung des Geschehens ist daher nicht möglich. Vordergründig ist das Buch ein Thriller, tatsächlich aber ein historischer Roman über ein grauenhaftes Ereignis und seine Folgen.