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Lehrreicher Wahltag

Sage einer, es tue sich nichts in der Politik. Aus Volksparteien werden ganz normale, die radikale Rechte hat sich etabliert, die Grünen werden stark gemacht, Europa schwächelt, ist aber noch nicht tot. Führungskräfte wirken verunsichert, junge Leute erheben ihre Stimmen, der Politikbetrieb verfällt in ratlosen Aktionismus. Die Zeichen stehen auf Veränderung. Aber was muss sich eigentlich ändern? Aus großen Worten müssen Taten folgen, aus Ankündigungen Realitäten werden, aus Visionen Wirklichkeit. Aber genau das ist offenbar so schwierig. Man kann auf Wahlplakaten viel schreiben, in Wahlspots viel versprechen, auf Homepages jede Menge ankündigen. Aber wenn auf große Worte allenfalls marginale Taten folgen, wenn der große Wurf zum Würflein wird, wenn Initiativen im Dickicht der Verwaltungen hängen bleiben, dann sind wir Bürger frustriert, ob wir nun alt sind oder jung. Wenn man hofft, dass eine Idee einige Monate braucht, um zur Tat zu werden, sich aber nach Jahren immer noch nichts getan hat, steigt die Verdrossenheit. Wann gibt es den Aktionsplan zur Rettung des Klimas, wann kommt die Digitalisierung in den Schulen an, wann werden die Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems überwunden, die Systeme des öffentlichen Verkehrs besser, die Stadtteile lebenswerter, die Neubürger zum Deutschlernen verpflichtet, die Boni der Manager gedeckelt, die Vermüllung der Städte bekämpft, die Ehrenamtlichen gefördert, die Steuergesetze vereinfacht usw., usw.

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Wahlen und Wähler

Nicht dass der Schreiber dieser Zeilen heute (6.5.12) wählen müsste, aber er wurde von den Medien eifrig auf diesen Wahlsonntag eingestimmt: Wenn Hollande in Frankreich gewinnt, habe Frau Merkel ein Problem, heißt es. Das dürfte nicht ihr einziges sein. Und wenn die Kanzlerin eins hat, haben wir dann auch eines? Wird dann die wunderbare Rettung des Euro durch den Fiskalpakt zu Grabe getragen?

In Schleswig- Holstein gibt es wahrscheinlich kein Problem, wie auch die Wahl ausgehen mag. Es gibt entweder eine rot-grün-x oder eine schwarz-x-Regierung. Wenn die FDP durchkommt, wird der Hass gegen sie erneut aufflammen, wenn nicht, stehen bereits die medialen Hämekübel bereit. Dann muss Rösler gehen oder auch nicht. Dem Euro wird es egal sein.

Auch Griechenland wählt heute. Irgendwo las ich von einer Frau Papadopolou, die auf dem Weg zum Wahllokal immer noch nicht weiß, was sie wählen soll. Die einen versprechen ihr die Rettung durch Sparen, die anderen das Ende vom Sparen, die einen sagen ihr, wie wichtig die EU und der Euro seien, die anderen, wie nötig es wäre, beides hinter sich zu lassen. Und manche sehen die Rettung in Reparationszahlungen der Deutschen. Arme Frau P. Was immer sie wählt, sie wird nicht wissen, was sie damit anrichtet.

Am Montag werden die Börsenkurse uns sagen, ob der 6. Mai in deren Sicht gut gelaufen ist. Aber ob das Ergebnis dieses Sonntags für den Euro, für Europa, für die Menschen gut sein wird, weiß auch das Börsenbarometer nicht.

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Ungeliehen – die angeblichen Leihstimmen

Nach dem Wählen kommt das Deuten. Vor allem jene, die mit dem Wahlergebnis nicht ganz zufrieden sind, haben den Drang, es zu interpretieren. Bei diesem Erklärungsprozess spielt wieder einmal das Wort „Leihstimme“ eine wichtige Rolle. Zu Unrecht, wie ich meine.

Besonders beliebt ist unter Christdemokraten die Auffassung, sie hätten mit ihren Leihstimmen der FDP zu einem guten Ergebnis verholfen. Schon seit mehreren Bundestagswahlen taucht dieses Ungeheuer aus dem Wahlsee auf. Einst verwendete man es gönnerhaft („Wir haben der FDP mit unseren Leihstimmen über die 5-Prozent-Hürde geholfen“), heuer dient es mehr der eigenen Entlastung: „Nur mit den Leihstimmen der CDU konnte die FDP so gut abschneiden.“
Mit dem Verb „leihen“ bezeichnen wir in der deutschen Sprache folgenden Vorgang: Jemand hat etwas, das ein anderer nicht hat. Er gibt es dem anderen für eine gewisse Zeit und erwartet danach die Rückgabe des Geliehenen. Manchmal wird eine „Leihgebühr“ verlangt.

Übertragen auf die Politik würde das heißen: Die CDU hat Stimmen, die die FDP nicht hat. Sie gibt sie ihr für eine Legislaturperiode und erwartet die Rückgabe bei der Wahl 2013. Als Gebühr verlangt sie Wohlverhalten in der Koalition.

Der Fehler ist offenkundig: Die CDU hat die Stimmen gar nicht, die sie angeblich der FDP leiht. Es sind die Stimmen der Wähler, und die entscheiden im Wahllokal, wem sie sie geben, der einen oder der anderen oder keiner Partei – wenn sie am Wahltag zu Hause bleiben. Die Bürger wählen haben diesmal so gewählt und das nächste Mal geben sie ihre Stimmen vielleicht wieder ganz anders ab. So ist das in der Demokratie. Auch die CDU und ihre Deutungshelfer müssen das lernen. Und die FDP sollte sich der wechselnden Gunst der Wähler bewusst bleiben.