Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten war ohne Zweifel ein bedeutendes historisches Ereignis. Sich daran zu erinnern ist wichtig. Wir haben dafür sogar einen gesetzlichen Feiertag geschaffen, den 3. Oktober. Doch offenbar reicht der nicht; wir sollen der Einigung auch sonst regelmäßig gedenken. Nach fünf, nach zehn, nach 15 Jahren haben wir es getan und jetzt, nach 20 Jahren, tun wir es wieder. Und wie! Die Zeitungen überschlagen sich mit Ost-Geschichten; das Fernsehen deckt uns ebenfalls damit ein. Das alles ist nur noch mäßig spannend, denn wir hören vieles nicht zum ersten Mal. Und Verklärendes über das einstige kommunistische Regime zur Kenntnis nehmen zu müssen, ist für unsereins eher eine Zumutung.
Dennoch bekommen wir ehemals Westdeutschen ständig Vorwürfe. So lese ich im neuen Heft „Leben“ der ZEIT vom 5.11.09, dass wir uns zu wenig für die Menschen und die Geschichte der ehemaligen DDR interessieren. Deshalb würden die Ost-Bürger lieber schweigen. Das klingt beleidigt.
Man könnte natürlich als Retourkutsche fragen, ob sich der einstige DDR-Bürger für die Geschichten aus Baden und Württemberg interessiert oder für unsere trüben Erfahrungen mit Reisen in die „Zone“ oder für die wirtschaftlichen Folgen des Geldabflusses in Richtung Neue Länder? Um das Erste müht sich seit Jahren erfolglos eine Werbeagentur, vom Zweiten mag man nicht immer wieder erzählen und vom Dritten schweigen wir lieber.
Man sollte das Erinnern nicht übertreiben. Es gibt viele drängende gemeinsame Probleme, die der Lösung harren.
(Blog-Eintrag Nr. 105)
2 Antworten auf „Übertrieben – ständiges DDR-Gedenken“
Die Jahrestage ballen sich:
9.11.1989 Mauerfall,
9.11.1938 Reichskristallnacht,
9.11. 1918 Ende des deutschen Kaiserreichs und Ausruf der Demokratie.
Glücklicherweise wurde heute nicht einseitig berichtigt. Zum „Mauerfall“ hab ich als ehemalige Westberlinerin meine besondere noch lang nicht aufgearbeitete Beziehung, wuchs ich doch in einer Welt auf, in der wie behauptet wurde nun nach einem „fürchterlichen Krieg“ der „Friede gegen die bösen Russen“ herrschte. Unsere Eltern waren selbst geschädigt von den Erfahrungen ihrer Jugend und wollten einfach vergessen. Sie mieden die Auseinandersetzung mit ihren Kindern.
Dies führt für mich dazu, dass das Thema: Berlin/BRD/DDR/Vereinigung für mich ein Lebensthema bleiben wird, bei dem mein Wissensdurst kaum gestillt werden kann. Noch heute ist mein natürliches topographisches Empfinden der Geographie in Berlin verzerrt: alle Wege führen für mich subjektiv über den Bahnhof Friedrichstraße.
Erst jetzt, Jahre nach der Zusammenführung, scheint mir, dass genügend Distanz vorhanden ist, um die subjektiven Eindrücke aufarbeiten zu können. Natürlicherweise, wie es so ist bei Aufarbeitungen, geht es um Um- und Neuinterpretationen von Stärken und Schwächen, nicht um Verherrlichung.
Die vielen “drängende(n)” Probleme sind wichtig. Aber sie machen auch blind für das langfristig Wirkende! Darum brauchen wir die immer neu bestmöglich korrigierten Blicke auf Erinnerungen als ihre gegenseitige Relativierung.
Dass es einen unterschiedlichen Blick auf dieses Kapitel der deutschen Geschichte gibt und der von der eigenen Biografie geprägt ist, vermag ich gut nachzuvollziehen. Aus dem deutschen Südwesten sieht sich die Geschichte des Deutschen Reiches, die ja mit der Preußens stark verknüpft ist, anders an, als wenn man in der Metropole sozialisiert wurde.
Der deutsche Südwesten ist stärker nach Frankreich und Österreich orientiert, unter dem Norden hat man hierzulande eher gelitten. Daher rührt die Distanz.
Der Bahnhof Friedrichstraße scheint so eine Art symbolischer Ort der DDR-Erfahrung gewesen zu sein. Wie konnte ein Regime seine Besucher so verschrecken! Aber vielleicht fand man sich in den Katakomben dieses Bahnhofs besonders authentisch realisiert. Die dort erlebte Traumatisierung (als Leiter einer Schulklasse) wird mir bleiben.
Natürlich ist die deutsch-deutsche Geschichte aufzuarbeiten, aber nicht auf einer so peinlichen Event-Ebene wie dieser Tage.