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Neuerverbungen

Nein, es ist nicht falsch geschrieben, das Wort in der Überschrift, obwohl das Schreibprogramm dies nachdrücklich behauptet. Es soll ein Wortspiel sein und darauf hinweisen, dass es im Deutschen ständig neue Verben gibt. Sonntag Aktuell hat uns (am 28.3.10) wieder einmal (mit leicht klagendem Tonfall) darauf hingewiesen und die Verben „simsen“ und „twittern“ erwähnt. Beide Wörter sind inhaltlich klar und klanglich ansprechend. Beim ersten mag der Unkundige an den Sims denken und sich fragen, was für eine Handlung mit ihm verbunden sein könnte. Auch die Reimnähe zu „bimsen“ ist bemerkenswert, ein fast vergessenes Wort für angestrengtes Lernen.

Dass man statt „twittern“ auch „zwitschern“ sagen könnte, wurde schon oft vorgeschlagen. Aber dies wird sich nicht durchsetzen, schon wegen der Assoziation zu dem geflügelten Wort: „Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen.“ Denn hier machen die Jungen gerade nicht dasselbe wie die Alten.

Ein verkrampftes neues Verb ist „downloaden“. Schon die Schreibung ist verquer und die Aussprache erst recht. Trotzdem hat es der Duden abgesegnet und nennt sogar das zugehörige Partizip: „downgeloadet“. Auch wer nicht deutschtümelnd ist, dürfte mehr Gefallen am „Herunterladen“ finden.

Wer skypt oder skypet, also mit Skype telefoniert, wird sich an diesem Verb nicht stören. Es ist auch keine deutsche Variante in Sicht. So sei das Verb denn willkommen im deutschen Wortschatz. Schwieriger wird es mit „booten“ (den Computer hochfahren). Die Nähe zum Boot und zum Ausbooten (jemand aus einem Wettbewerb werfen) stört etwas. Aber das Verb wird eh nur ein Schattendasein führen. So mag es denn weiter Verwendung finden.

Dass „hartzen“ aus der Jugendsprache kommt, wissen wir, seit das Wort einen Preis bekommen hat. Das faule Herumhängen bei regelmäßiger Sozialhilfe wird dadurch eindeutig und plastisch benannt. Das Wort bereichert zwar unseren Wortschatz, aber es zeigt auch mit dem Finger auf die Verarmung vieler in der Gesellschaft.

Das leistete einst auch das Verb „fringsen“ (sich erlaubterweise das Notwendigste fürs Leben klauen). Ein Kardinal (Frings genannt) hat diesem Verb Pate gestanden. Es war ein Kardinal, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Verständnis für Arme hatte.

(Blog-Eintrag Nr. 169)

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Volksfeindliches Theater

Halb leer war das Stuttgarter Schauspielhaus am 22.3.2010, als in einer Routine-Vorstellung gut einen Monat nach der Premiere der „Volksfeind“ gegeben wurde, ein Stück von Ibsen. Die Thematik des Schauspiels ist durchaus zeitgemäß: Vertreter ökonomischer Interessen verhindern die Aufdeckung der Wahrheit. Die lautet: Das Wasser eines Kur- und Heilbads in Norwegen heilt nicht, sondern macht krank. Der Verkünder dieser Botschaft wird durch allerlei Intrigen aus einem Volksfreund, der dem Volk reinen Wein über das unreine Wasser einschenken will, zum verfolgten Volksfeind.

Man müsste eigentlich wenig tun, um die Modernität dieses Werkes auf der Bühne sichtbar zu machen. Im Stuttgarter Staatsschauspiel tut man sehr viel dafür, zu viel. Das Ergebnis ist ein zerrupfter Ibsen, der den Vorwand für langweiliges Agitationstheater bieten muss.

Die Stuttgarter Zeitung sah das in ihrer Kritik (22.2.10) ganz anders. Da spricht Roland Müller von der „satirischen Aktualisierungskunst“ der Dramaturgen. Dabei ist nur recht mittelmäßiges Politkabarett zu sehen. Dessen Botschaft ist ebenso geistlos wie schlicht: Die (natürlich liberale) Machtelite Deutschlands ist – einschließlich der Presse – durch und durch korrupt. Sie scheut vor keiner Schandtat zurück, um die Wahrheit zu vertuschen und ihre Renditen nicht zu gefährden.

Müller versteigt sich gar zu der Aussage, dass sich das Theater, er meint das Staatsschauspiel in Stuttgart, zum „lebendigen Ersatzparlament der Stadt“ entwickle. Das beweise „schlagend“ dieses „lokalpolitisch eingefärbte“ Stück. Und das sei gut so, meint er abschließend.

Es ist gar nicht gut, weil es kein gutes, sondern dürftiges Theater ist. Wir bekommen simple Worterklärungen: „Geldwäsche“ wird dadurch veranschaulicht, dass jemand einen Geldschein in einen Wasserkrug taucht, und „Schlammschlacht“ durch das Werfen von Dreckbollen. Und was soll man davon halten, dass die Schauspieler endlose Reden ans Publikum halten, in denen sie uns zum Beispiel erklären wollen, wie Demokratie funktioniert? Diese Darlegungen sind einfach öde, die juristischen Hinweise zum Ablauf eines Bürgerbegehrens sogar teilweise falsch. Aber zum Glück versteht man vieles nicht, weil die Akteure ständig herumschreien.

Bemerkenswert ist, dass der Theaterabend dann an Intensität gewinnt, wenn die Schauspieler ein bisschen Original-Ibsen spielen dürfen und nicht die matten Texte der Dramaturgen herunterbeten müssen.

(Blog-Eintrag Nr. 168)

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HH unplagged

Frau Helene Hegemann war mit ihrem Roman „Axolotl Roadkill“ für den Leipziger Buchpreis nominiert, aber sie hat ihn nicht bekommen. Trotzdem erregte sie reichlich Aufsehen. Wollte sie das? Darf sie das, darf sie überhaupt etwas wollen? Steuert sie die Prozesse, die sich mit ihr abspielen, oder wird sie gesteuert? Vom Verlag oder gar vom Vater? Dass sie kleine Teile eines fremden Textes benutzt hat, ohne dessen Herkunft zu kennzeichnen, ist eine eher lässliche „Sünde“. Manche sagen, schlimmer sei, dass ihr bei manchen Sätzen der Vater die Hand geführt habe. Als „Beweis“ wird der folgende zitiert; er steht in einem Artikel von Focus online (19.3.10):

„Ich reiße die Augen auf und versuche, mich an dem letzten kleinen Fünkchen realistischer Hässlichkeit festzukrallen, aber irgendeine Kraft übertrumpft mich, die nicht meine Wahrnehmung oder meinen Muskelkontraktionsimpuls außer Kraft setzt, sondern ausschließlich diesen abgefeierten, hundertjährigen Gutmenschenkonsens, unter dessen Schirmherrschaft sich jede lebendige Person seit ihrer Geburt an irgendeine Oberfläche zu kämpfen versucht.“

Ist das ein guter Satz? Würde er, wäre Helene Hegemann noch Schülerin, vom Deutschlehrer durchgewinkt oder mit roter Farbe überzogen? Häckerling tippt auf Letzteres. Man kann die Augen aufreißen, aber wie krallt man sich an einem „letzten kleinen Fünkchen“ von Hässlichkeit fest? Die doppelte Verkleinerung (mit Adjektiv und –chen) klingt überhaupt etwas merkwürdig. Und was unterscheidet eine „realistische“ (reale?) von einer unrealistischen (virtuellen?) Hässlichkeit? Allerdings leuchtet ein: Wäre sie unwirklich (unsichtbar?), diese Hässlichkeit, könnte sich die Ich-Erzählerin nicht an ihr festkrallen. Leichter fiele es ihr indes, sich nicht am Abstraktum, sondern an etwas konkret Hässlichem festzukrallen. Doch diese Anstrengung nützt ihr sowieso nichts. Denn es taucht „irgendeine Kraft“ auf, eine die ihr Krallen „übertrumpft“, und die – ja, was tut sie eigentlich? Sie setzt „meine Wahrnehmung“ und „meinen Muskelkontraktionsimpuls“ nicht „außer Kraft“ – ein bisschen viel an nicht stattfindender biologischer Physik. Aber was wird nun tatsächlich von der „Kraft“ außer Kraft gesetzt? Es ist der „Gutmenschenkonsens“. Ist hier der Konsens „unter“ oder „über“ den Gutmenschen gemeint? Jedenfalls ist der, erfahren wir, schon 100 Jahre alt, stammt also von 1910, und ist ziemlich „abgefeiert“. Unter seiner Schirmherrschaft kämpfen sich alle Geborenen („jede lebendige Person“ steht im Text, eine tote würde es wohl nicht schaffen) „an irgendeine Oberfläche“. Welche? Geht es um die Wasser- oder die Erdoberfläche oder um die Oberfläche der Gesellschaft?

Was ist nun der Sinn des Satzes? Die Erzählerin liebt Hässliches und hasst alle, die sich an die Öffentlichkeit drängen. Stammt der Satz vom Vater? Eher nein, der müsste ihr diesen Schwulst durchgestrichen haben. Häckerlings Rat: Frau Hegemann, unterwerfen Sie sich nicht „irgendeiner Kraft“, sondern bleiben Sie noch eine Weile unter der „Oberfläche“. Das kann Ihrem Schreiben nur guttun.

(Blog-Eintrag Nr. 167)