Die Zahlen, heißt es, seien nicht dramatisch. Nur einer von hundert Stuttgartern habe im letzten Jahr die Mitgliedschaft in seiner Kirche aufgegeben. Ein Prozent, das klingt wenig, ist aber viel. Bald hat die Stadt mehr Nichtchristen also solche, die sich als Kirchensteuerzahler wenigstens noch formal als evangelisch oder katholisch bekennen. Der Widerspruch zwischen der christlich geprägten Landesverfassung Baden-Württemberg und der Realität nimmt ständig zu.
Natürlich hat das auch mit den Kirchen selbst zu tun. Manchen mag die Steuer zu hoch sein, für manche sind andere religiöse Gemeinschaften attraktiver geworden, viele sehen keinen Sinn mehr darin, einer Institution Geld zu geben, von der man nichts hat, nichts bekommt und nichts erwartet. Selbst das Begräbnis lässt sich inzwisc hen anders organisieren. Im Übrigen tritt man auch aus den Parteien, den Gewerkschaften, Vereinen aus, wenn man sich nichts mehr von ihnen verspricht.
Die Kirchenleitungen scheinen die Krise nicht zu spüren. Sie leisten sich ungeniert die Arroganz der Macht, beuten ihre Mitarbeiter aus, entlassen eine Vikarin, die „falsch“ geheiratet hat, beharren im Gottesdienst auf einem altertümlichen Sprachstil und reden selbst Unverständliches. Sie ärgern viele durch Langeweile, Borniertheit und Abschottung von der Wirklichkeit.
Es ist heutzutage nicht mehr sehr ehrenvoll, sich als Christ zum Protestismus zu bekennen. Leider. Aber wahrscheinlich muss die Krise noch größer werden, ehe sich etwas tut.