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Achtneunargumentationen

Derzeit liest man wieder einmal viel über die schlimmen Auswirkungen des achtjährigen Gymnasiums. Von „fehlender Reife mit achtzehn“ ist die Rede – als ob die jungen Leute mit neunzehn wesentlich reifer wären. Von der Unfähigkeit, nach zwölf Jahren Schule eine Studienentscheidung zu treffen ist zu lesen – als ob die nach dreizehn Jahren leichter fiele. Von langen Reisen statt eines „verfrühten Studiums“ ist die Rede – die waren übrigens beim Abitur nach neun Gymnasialjahren auch sehr beliebt, bei denen, die es sich leisten konnten. Sie erinnern an die einstigen Kavaliersreisen des Adels, auf denen sich die künftigen Herrscher „die Hörner abstoßen“ und nebenbei auch etwas „von der Welt“ sehen sollten. Häckerlings Meinung: Wenn die jungen Leute nach der Reifeprüfung derartige Unzulänglichkeiten aufweisen, dann fehlt es ihnen in der Tat an Reife. Aber an wem liegt dieses Defizit? Vielleicht halten die Eltern ihre Kinder zu lange in Unmündigkeit, statt ihnen etwas zuzumuten, vielleicht nehmen sie ihnen zu viel ab und geben ihnen zu wenige Chancen, eigenständig zu werden. Vielleicht versäumt es auch die Schule, die jungen Menschen zu fordern, Ihnen etwas abzuverlangen, sie zur Selbstständigkeit zu führen. Gelegentlich ist es geboten, den Gymnasien in Erinnerung zu rufen, dass sie nicht nur Lehrinhalte vermitteln, sondern auch erziehen sollen. Das jedenfalls ist ihr Auftrag, wie ihn das Schulgesetz formuliert. Ehe man den Rufen nach einem (übrigens teuren) neunten Schuljahr folgt, wäre eine Schulreform angezeigt, die vom Ziel her denkt, das da wäre: selbstständige Menschen in „die Welt“ zu entlassen.

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Smartphonegeräusche

Manche Schulen wissen sich gegen das ununterbrochene Gucken aufs Handy nur noch mit Verboten zu helfen. Abgesehen von der Frage, ob ein solches Verbot wirkt und ob es überwacht werden kann, es ist keine Lösung. Natürlich geht es nicht an, dass die Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts ständig ihre neuen Nachrichten lesen. Das stört die Konzentration. Wenn es immer wieder piepst, weil ein Chat seine Fortsetzung gefunden hat, ist keine sinnvolle pädagogische Arbeit möglich. Deshalb kann die Schule verlangen, dass die Geräte abgeschaltet oder stumm gestellt werden. Wer sich daran nicht hält, muss mit Sanktionen rechnen. Die lassen sich bei wiederholtem Fehlverhalten steigern, in hartnäckigen Fällen bis zu einem zeitweiligen Ausschluss vom Schulbesuch. Das tägliche Einsammeln der Handys und die Rückgabe nach Schulschluss sind organisatorisch nur mit unnötigem Aufwand nicht umzusetzen. Auch können da „Verluste“ auftreten, mit schwierigen rechtlichen Folgen. Längeres Einbehalten der Geräte verstößt gegen Eigentumsrechte. Die Wundermaschinen müssen also bei ihren Eigentümern bleiben. Das hat auch Vorteile: Sie können im Unterricht genutzt werden. Manches Textblatt würde sich erübrigen, wenn die Schülerinnen und Schüler selbst recherchieren und relevante Informationen auf ihrem Gerät speichern dürften. Auch die Einrichtung von Computerräumen oder Tablet-Klassen verlöre an Dringlichkeit, wenn die Lehrenden mit den bei ihren Schülern vorhandenen Smartphones sinnvoll umzugehen wüssten.

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Thesenanschlag

Während der Glanz, der vom Reformationsjubiläum in die Gesellschaft strahlen sollte, am Verblassen ist, sind ein paar Thesen fällig, die sich nicht gegen die katholische, sondern die evangelische Kirche richten. Die erste: Diese Kirche verdient das Prädikat „protestantisch“ nicht mehr, hat sie sich doch zu sehr eingerichtet in den herrschenden Verhältnissen. – Die zweite These, sich aus der ersten ergebend: Dieser Kirche fehlt der Mut, drängende Probleme nicht nur zu benennen, sondern deren Lösung einzufordern. Solche Probleme wären z. B.: die sprachliche Integration der Zuwanderer ernsthaft zu betreiben, die soziale Schieflage, das Auseinanderdriften der Gesellschaft beim privaten Vermögen anzuprangern und ernst zu machen mit der Vision, dass jeder Bürger und jede Bürgerin für sich, seine Familie und seine Zukunft eigenverantwortlich handeln kann, die Veränderung des Klimas und deren Folgen deutlich zu benennen und eine radikale Änderung der privaten Lebensführung anzumahnen. – Die dritte These: Während die evangelische Kirche nach Luthers Aktionen wuchs und wuchs – zum Leidwesen der Katholiken – lässt sich derzeit ihr Schrumpfen nicht mehr aufhalten. In regelmäßigen Abständen werden neue Pläne erstellt, die nichts anderes sind als Programme zum Stellenabbau. In Sindelfingen zeigt sich das am sonntäglichen Gottesdienstprogramm. Nur noch selten werden alle Teilgemeinden „bespielt“, die Sonntage mit „zentralem Gottesdienst“ nehmen zu. – Die vierte These: Die im letzten Jahr genährte Illusion, man sei eine Kirche für alle, muss auf den Müll. Man ist eine schrumpfende Minderheit, nicht nur im Osten der Republik. Man hat an Attraktivität verloren. Die Kirchenaustritte überwiegen die Eintritte. Da wird es Zeit, sich vom Staatskirchenmodell zu verabschieden und neue, „privatere“ Strukturen aufzubauen. Weg vom Zentralismus des „Ober“kirchenräte, hin zu einer Struktur mit flacher Hierarchie, wo auch die „Oberen“ nur Gleiche unter Gleichen sind. Das bedeutet, die Verantwortung der Ortskirchen zu stärken. – Die fünfte These: Auch wenn es Pfarrer gibt, die 20 Minuten predigen können, ohne dass man sich tödlich langweilt, die Form des klassischen Gottesdienstes ist nicht mehr geeignet, die Menschen bei der Stange zu halten. Man kommt in diesen Gottesdiensten nicht zu Wort, man darf „das Wort“ allenfalls hören. Ob das einer mündigen Gesellschaft adäquat ist?