Es ist schon ein Kreuz mit der Württembergischen Landeskirche, vor allem mit seinem Parlament, der Synode. Sie ist so was von zerstritten. Ein Antrag, Paare mit gleicher sexueller Ausrichtung zu trauen, wurde abgeschmettert. Auch der Kompromissvorschlag des Oberkirchenrats, den Pfarrern die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zu erlauben, fand nicht die erforderliche Mehrheit. Beide Anträge scheiterten an den sog. Konservativen. Sie berufen sich bei ihrem Nein auf die Bibel – und die enthält in der Tat, vor allem im alttestamentlichen Teil, kritische Sätze über diese Art sexueller „Orientierung“. Ebenso verwerflich findet sie übrigens auch die Selbstbefriedigung. Onan wurde dafür mit dem Tode bestraft. Es gibt christliche Kreise, die solchen, fast dreitausend Jahre alten, Meinungen auch heute noch anhängen. Sie halten Homosexualität für eine Sünde. Ehen unter solchen irregeleiteten Menschen darf es keinesfalls geben. Im Übrigen müsse man es nur wollen, dann könne man auch anders, also „normal“ sein. Diese christlichen Gruppen waren es auch, die vor einiger Zeit gegen die Aufklärung der Schülerinnen und Schüler gekämpft haben. Warum sind diese Christen in den Gedankengängen der jüdischen Vorzeit hängen geblieben? Es liegt an ihrem Biblizismus. Nun rächt sich, dass man ihnen seit Jahrzehnten ihren archaischen Umgang mit der Bibel durchgehen lässt. Nun kommt die Quittung dafür, dass man diesen Kreisen erlaubte, den historisch-kritischen Ansatz der Theologie zu verteufeln. Manchmal rächt sich die Toleranz gegenüber der Rückständigkeit. Die Kirchenleitung, die theologische Wissenschaft und der Religionsunterricht sind gefordert. Nach dem Reformationsjahr, wo man sich in schönen Reden erging, endlich mal eine Herausforderung!
Monat: November 2017
Wie beschreibt man einen Bürgerkrieg, in dem etwa eine Million Menschen Opfer von Gewalt geworden sind? Faye erzählt diese afrikanische Geschichte aus eigenem kindlichem Erleben. Er ist zwölf Jahre alt, als die Massaker in seiner Heimat Burundi eskalieren. Lange meint er, mit dem Streit zwischen den Eingeborenen, den Hutu und Tutsi, nichts zu tun zu haben, steht er doch als Teil einer privilegierten Familie (zunächst) außerhalb des Konflikts. Der Vater ist Franzose, die Mutter zwar eine Tutsi, aber mit französischer Staatsbürgerschaft. Sie leben in einem „besseren“ Vorort der burundischen Hauptstadt Bujumbara, idyllisch gelegen am Tanganyika-See. Gaby, wie der Ich-Erzähler Gabriel genannt wird, wächst im Wohlstand auf, in einem geräumigen Haus mit einheimischen Dienern. Er trifft sich oft mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft. Dann zerbricht die Ehe der Eltern. Auch die gesellschaftliche Ordnung beginnt allmählich zu zerfallen. Es bilden sich Jugendbanden, die das Leben der Einwohner bedrohen und vor Gewalt gegenüber denen mit „anderer Herkunft“ nicht zurückschrecken. Immer näher rückt das Grauen. Es trifft die Dienerschaft, Bewohner der Nachbarschaft, Bekannte, Verwandte, die Mutter. Gaby flieht ins Lesen, eine Nachbarin leiht ihm Romane aus. Aber dann funktioniert auch das nicht mehr. Auch er gerät in die Mühlen der Gewalt. Der Roman, der so heiter begonnen hat, endet im Grauen des Völkermords. Die Geschichte wird rückblickend erzählt. Inzwischen lebt der Erzähler (wie auch der Autor) in Frankreich, trauernd um die verlorene Heimat. Das Buch nimmt uns hinein in ein Geschehen, das wir als Nachrichtenkonsument in den 1990er Jahren nur distanziert von außen betrachtet haben. – Gaël Faye: Kleines Land. Roman 2016. Verlag Piper
Sondierungsstopp
Es war natürlich nicht nett von Herrn Lindner, die Sondierungsgespräche zu verlassen, wo man doch „auf gutem Wege“ war und es nur noch um „Kleinigkeiten“ ging, wie die CDU-Frau Klöckner am frühen Sonntagabend allen Ernstes behauptet hat. Für Kleinigkeiten braucht man unter vernünftigen Menschen nicht endlos lange Stunden und Tage. Auch benötigt man normalerweise keine fünf Wochen, um festzustellen, ob Koalitionsverhandlungen sinnvoll oder sinnlos sind. Zwischen den Verhandelnden hat die Chemie offenbar zu keinem Zeitpunkt gestimmt. Das liegt auch an Geschichten aus der Vergangenheit. Dass sich die FDP 2009 bis 2013 von Merkel über den Tisch und dann in den Abgrund hat ziehen lassen, wird kein Liberaler bei aller Selbstkritik so schnell vergessen. Da hätte es deutlichere Zeichen der Wiedergutmachung bedurft. Und dass sich die Grünen 2013 mit besonders hämischer Freude über die Niederlage der FDP geäußert haben, kann nur vergessen, wer vergesslich ist. Aber, so lautet ein berechtigter Einwand, solche Empfindlichkeiten dürfen „Patrioten“ (Özdemir) nicht daran hindern, die beste Lösung für unser Land zu suchen. Aber wäre diese Koalition mit diesem Personal tatsächlich eine gute Lösung gewesen? Auch wenn sie länger gehalten hätte als jenes eine Jahr, das man ihr zugebilligt hatte, sie hätte sich in grundsätzlichen Fragen nicht einigen können: beim Braunkohleausstieg, beim Einwanderungsgesetz und bei den Fragen der Integration, bei der Abschaffung des Solidarbeitrags und der Neugestaltung des Steuerrechts, beim grundlegenden Wandel des Bildungssystems, bei der Umsetzung der Digitalisierung in Schule und Gesellschaft, der Schaffung einer Wirtschaftsordnung, die Neugründer nicht abschreckt, sondern ermutigt, bei einer Sozialgesetzgebung, die den Sprengstoff der Ungleichheit unschädlich macht, bei der Reform Europas, die der Rosinenpickerei ein Ende macht usw.