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Gymnasiale Zunahme

Nein, es stimmt nicht, was vom Ministerium behauptet wird: dass die Übergangsquoten in die weiterführenden Schulen stabil seien. Im Gegenteil, jedes Jahr nimmt der Prozentsatz derer zu, die ins Gymnasium wollen. Man kann auch nicht sagen, der Übergang in die Gemeinschaftsschule stagniere, nein, er hat signifikant abgenommen. Die Zahlen sind auf der Homepage der Landesregierung nachzulesen. Man sollte sich die Lage nicht schönreden, sondern sie zur Kenntnis nehmen. Die gymnasiale Zunahme kann man zwar als „Abstimmung mit den Füßen“ deuten, als Beweis für die Attraktivität dieser Schulform. Aber man sollte zur Kenntnis nehmen, dass sich damit nicht erreichen lässt, was der Politikermund immer mal von sich gibt: Man wolle das Niveau des Gymnasiums halten. Hier gibt es kein Halten mehr. Das Niveau sinkt. Das bestätigen die Vergleichsstudien, das beklagen die Lehrerinnen und Lehrer, deren Kraft und Zeit von Fördermaßnahmen, Einzelhilfen für Schwächere, von ständigem Üben und immer wieder neu Erklären in Anspruch genommen werden. Anspruchsvolle, selbstständige Gedankengänge der Schüler, die Auseinandersetzung mit komplexen Sachverhalten, das Betreten unwegsamer intellektueller Bereiche, die kritische Auseinandersetzung mit der bedrohlichen Realität, dafür ist kaum noch Zeit. Das Gymnasium ist auf dem Weg zur Regelschule. Und die Gemeinschaftsschule? Sie arbeitet sich ab an ihrer unlösbaren Aufgabe: allen gerecht zu werden, jeden individuell zu fördern, dem Kind mit Defiziten und dem mit geistigen Ansprüchen jeweils das Seine zu geben, die Kluft zwischen den sozialen Schichten zu überwinden, die Fremden zu integrieren, die Schwachen und die Leistungswilligen zusammen sinnvoll arbeiten zu lassen. Das kann nicht gelingen. Wann werden es die Verantwortlichen schaffen, die schulischen Holzwege zu verlassen?

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Basisdemokratische Exzesse

Die Sozialdemokraten machen uns vor, wie die demokratische Ordnung der Zukunft aussehen wird. Sie haben einen Parteitag darüber abstimmen lassen, ob ein Sondierungsergebnis es zulässt, in weitere Verhandlungen mit den Christdemokraten einzutreten. Über dessen Ergebnis soll dann ein Parteitag abstimmen. Den könnte man anschließend auch entscheiden lassen, ob die Verteilung der Ministerposten in Ordnung ist. Ich wundere mich auch, dass die SPD-Basis erst so spät ins Spiel kam. Hätte sie nicht zuerst die Entscheidung prüfen müssen, mit der CDU Sondierungsgespräche zu führen? Denn schließlich handelte ihr Vorsitzender da anders, als er es in seinem Zorn nach der Wahlniederlage angekündigt hatte. Schon damals, am Wahlabend, habe ich mich über Schulz gewundert. Durfte er sich überhaupt gegen eine neue große Koalition aussprechen, ohne seine Partei vorher zu fragen? Aber, gesetzt den Fall, das schwarz-rote Regierungsbündnis kommt zustande, wie sieht es danach mit der Beteiligung der SPD-Parteigenossen aus? Es werden vermutlich Gesetze entstehen. Und die dürfen dann einfach durch bloßen Parlamentsbeschluss in Kraft treten? Ohne dass die SPD-Basis vorher ihre Zustimmung zur Abstimmung über das Gesetz gegeben hat? Und geht es an, dass der Bundespräsident ein Gesetz unterzeichnet, ohne vorher die Mitglieder der SPD um Erlaubnis zu fragen? Und warum werden nur die SPD-Menschen vorher gefragt? Man muss uns doch alle beteiligen. Eine demokratische Teilhabe wäre per Demoskopie möglich oder in Form einer Debatte in den sozialen Netzwerken oder durch Volksabstimmung. Das wäre teuer, aber gewiss gut angelegtes Geld. Man sieht es ja an der Schweiz. Manchmal frage ich mich allerdings, warum wir überhaupt über 700 Abgeordnete wählen, wenn wir ihnen nichts erlauben, wenn wir ihnen nicht zumuten, ihren Auftrag als „Vertreter“ des Volkes zu erfüllen, sondern alle Entscheidungen selber treffen wollen.

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Historischer Augenblick

War Chamberlain naiv, weil er glaubte, bei der Konferenz in München (1938) den Frieden gerettet zu haben? Harris beschreibt den britischen Premierminister als einen Mann, dem die Vermeidung eines Krieges in Europa so wichtig war, dass er Hitler sogar in der Sudetenfrage weit entgegenkam. Dabei waren die Eroberungspläne des deutschen Diktators nicht nur unter Insidern bereits bekannt. Harris erfindet für seine Geschichte zwei Repräsentanten ihrer Länder, zwei Freunde aus Studententagen, den Briten Hugh Legat und den deutschen Aristokraten Paul von Hartmann. Sie nehmen als Delegierte an der Münchener Konferenz teil. Das bietet dem Erzähler die Möglichkeit, den Leser hinter die Kulissen der offiziellen Politik blicken zu lassen. Von Hartmann gehört zu einer Gruppe von Hitler-Gegnern. Er benutzt Legat als „Briefträger“. Ein geheimes Dokument soll beweisen, dass Hitler keinen Frieden will. Aber der Versuch, das Münchener Abkommen zu verhindern, scheitert. Chamberlain wehrt sich gegen diese Information, die seine Mission in Frage stellt. So kommt es zu der berühmten Wochenschauszene, in der er ein Papier schwenkt, das den Frieden sichere. Chamberlain wird dafür weltweit bejubelt. Dass der britische Premierminister selbst Zweifel am Erfolg des Abkommens hatte, deutet der Erzähler an. Harris gelingt es, die Spannung dieser Septembertage lebendig zu vermitteln. Die Fakten hat er wie immer sorgfältig recherchiert. Wir Heutigen wissen, dass die Weltgeschichte anders weiterging, als Chamberlain (und die damalige Welt) es sich erträumte. Die Katastrophe, die ein Jahr später begann, hätte nicht sein müssen. (Robert Harris: München. Roman 2017. Verlag Heyne)