Kategorien
Politik

Der Protestantismus und die Familie

Sie wollen die Familie verteidigen, die Rechtgläubigen in der evangelischen Kirche Württembergs, vorneweg ihr Bischof July. Aber welche Art von Familie meinen sie? Wahrscheinlich jene mit Mutter und Vater und zwei Kindern. Die leiten sie „aus der Bibel“ ab und werfen der neuen EKD-Schrift „Familie als verlässliche Gemeinschaft“ vor, sie tue das nicht, sondern öffne anderen sozialen Lebensweisen Tür und Tor. Das tut sie allerdings, wobei man diesen neuen Formen keine Tür mehr öffnen muss; sie sind schon da.

In besagter Studie steht unter anderem: Eine breite Vielfalt von Familienformen ist, historisch betrachtet, der Normalfall. Das heute von den Frommen so hoch gehaltene Familienideal habe sich erst im 18. Jahrhundert entwickelt. In der Familienschrift wird auch festgestellt: Ein normatives Verständnis der Ehe als ‚göttliche Stiftung‘ und eine Herleitung der traditionellen Geschlechterrollen aus der Schöpfungsordnung entsprechen nicht der Breite des biblischen Zeugnisses. Was ist falsch an dieser Aussage? Was weiß der württembergische Bischof, was die EKD-Sachverständigen nicht wissen?

Dass auch der Kommentator der Stuttgarter Nachrichten sich letzte Woche in den Chor derer eingereiht hat, die der evangelischen Kirche raten, mehr (konservative) „Kante zu zeigen“, und mit Bedauern konstatiert, die Evangelischen hätten keinen Papst, der ihnen die Linie vorgibt, irritiert mich. Bisher, so dachte ich, dürfen Protestanten selber denken. Auch der Bischof July darf das und seine konservativen Adepten dürfen es auch. Aber ich erlaube mir trotzdem, jener Position zuzuneigen, die der künftige Landesbischof von Baden geäußert hat. Er hat die EKD-Schrift gelobt. Auch ich finde sie lobens- und lesenswert.

Kategorien
Politik

Die Protestanten und die Arbeit

Dem Thema Arbeit hat die evangelische Kirche im Dekanat Böblingen den diesjährigen Reformationstag gewidmet. Beim traditionellen Festabend am 31. Oktober 2012 ließen sie Prof. Dr. Segbers aus Marburg über den Paulus-Satz „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ reden. Dass der Satz heute nicht mehr passt, war schnell geklärt: Arbeit war in der Antike etwas anderes als heute, wo man darunter im Wesentlichen Erwerbsarbeit versteht.

Der Kern des Vortrags bestand in der Geißelung der prekären Arbeitsverhältnisse, der Leiharbeit und der in Teilzeit. An ihrem massenhaften Aufkommen ist, so Segbers, die Politik schuld. Sie habe es zu verantworten, dass viele Menschen von ihrer Arbeit kaum oder nicht in Würde leben können und auf eine nur geringe Rente hoffen dürfen. Schon jetzt müsse der Steuerzahler diese Arbeitsverhältnisse mit Milliardenbeträgen subventionieren. So weit, so schlimm.

Das Problem dieser protestantischen Feierstunde in der Sindelfinger Martinskirche besteht in der Doppelmoral derer, die einen sozialen Missstand geißeln. Haben wir nicht lesen müssen, dass sich auch die beiden großen Kirchen in Deutschland nicht scheuen, ihre Mitarbeiter auszubeuten, ihnen einen guten Lohn vorenthalten oder die soziale Sicherheit verwehren. Ausbeutung und Selbstausbeutung sind auch in der Kirche der Protestanten und auch in Sindelfingen nicht selten. Dass man trotzdem so ungeniert mit dem Finger auf die bösen Anderen zeigt, stimmt nachdenklich.

Kategorien
Politik

Die Kirchen und ihre Mitglieder

Zu den gerne gepflegten Irrtümern über die Kirchen gehört die Meinung, ihre Administration sei wichtiger als das gemeine Kirchenvolk. Das Gegenteil ist richtig, wenigstens sehe ich das beim Protestantismus so. Dort sind wir alle „Glieder am Leib Christi“, ob wir an dessen Kopf oder als seine Hände und Füße wirken.

Derzeit häufen sich die Meldungen, dass die Köpfe zwar da sind, aber Füße und Hände abhanden kommen. In Mecklenburg-Vorpommern sind gerade mal noch 15% der Bevölkerung offizielle Kirchenmitglieder, notabene Evangelische und Katholische zusammengerechnet. Dort ist man schon dabei, den Kirchenkopf verkleinern, indem man einzelne Kirchen zusammenschließt.

In Stuttgart, so war jüngst (30.7.12) in den Stuttgarter Nachrichten zu lesen, hat der Gottesdienstbesuch bei den Protestanten in den letzten Jahren ziemlich nachgelassen. Man gibt sich in kirchlichen Kreisen besorgt und macht sich sogar schon Gedanken, ob es am Gottesdienst oder gar an der Predigt liegt. In der Tat, daran liegt es auch. Die wunderschöne mittelalterliche Form der „Vorlesung“ hat Akzeptanzprobleme. Ist sie gut, sind viele mit 20 Minuten konzentrierter Aufmerksamkeit überfordert, ist sie schlecht, schaltet man ab und hängt seinen eigenen Gedanken nach.

Ein Nachdenken über diese Form der religiösen Unterweisung wäre wünschenswert. Die Erwachsenenbildung hat bekanntlich seit dem Mittelalter einige Fortschritte gemacht. Allerdings habe ich wenig Hoffnung, dass sich etwas ändert. Ein Mitglied des Kirchenkopfs beeilte sich mit der Feststellung, die althergebrachte (und wie er meint: bewährte) Form der Predigt werde auch noch in vierzig Jahren vorhanden sein. Er meint das tatsächlich nicht ironisch, sondern in vollem Ernst. Die Erneuerung einer Kirche sieht anders aus. Von den Köpfen dürfen wir da offensichtlich nichts erwarten.