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Verbotene Sätze

Tübingens Oberbürgermeister hat ein besonderes Geschick, Erregungsreaktionen auszulösen. Mit seiner letzten Äußerung hat er sein Meisterstück geliefert. Sie besagt: Weil Menschen über 80 eh bald sterben, sei ihre aufwändige Rettung durch das medizinische System fragwürdig. Dieser Satz allein hat natürlich etwas Zynisches. Immerhin gibt es Menschen, die 90 oder gar 100 werden. Sollen diese Alten (zu denen Häckerling auch bald gehört) von der ärztlichen Betreuung ausgeschlossen werden? Wäre das der Sinn von Palmers Äußerung gewesen, müsste man sich in der Tat erregen. Aber das meint er gar nicht. Auch hier gilt: Wenn man Sätze aus ihrem Kontext reißt, werden sie angreifbar. Bismarck hat das mit der Emser Depesche trefflich vorgeführt. Man könnte auch an den biblischen Witz über Judas denken: Er hat angeblich Jesus „verraten“, dies aber später bereut. Er gab den „Judaslohn“ zurück „und erhängte sich“. Kombiniert man diese Mitteilung mit dem anderen biblischen Satz „Gehe hin und tue desgleichen“, hat man eine biblische Begründung für den Suizid. Palmer hat darauf verwiesen, dass (laut Vereinte Nationen) wegen der Maßnahmen im Gefolge der Corona-Pandemie und dem damit ausgelösten weltweiten wirtschaftlichen Kollaps die Armut in der Welt zunehmen wird. Das werde zum millionenfachen Tod von Kindern in den jetzt schon verarmten Gegenden der Welt führen. Merkwürdigerweise wurde dieser Teil seines Statements nicht als skandalös empfunden. Tote Kinder regen uns offenbar nicht auf; die gibt es immer. Doch halt, seien wir gerecht: Wir Deutschen haben knapp 50 Kinder und Jugendliche aus den griechischen Flüchtlingslagern zu uns geholt und damit „gerettet“.

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Vernachlässigte Kinder

Endlich sagt man es deutlicher: Auf Seite1 der neuen Ausgabe der ZEIT ist zu lesen, dass nicht nur alte Menschen mit Vorerkrankungen, sondern auch die Kinder bei einer Pandemie das Recht auf Leben haben: auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, (Spielen, mit Freunden reden), das Recht auf Bildung, auf Erziehung. Sie seien nicht nur potenzielle Virus-Schleudern, sondern die wahren „Systemrelevanten“. Häckerling kann jenen Satz mitsprechen, dass es absurd sei, den Erwachsenen wieder das Shoppen (mit Abstandhalten) zu erlauben, den Kindern aber die Spielplätze mit rotweißen Bändern zu versperren. Auch Spielen ist beim Einhalten von Abstandsregeln möglich. Dass sie darauf achten müssen, haben die Kinder in den letzten Wochen nachhaltig gelernt. Es gibt sicher auch genügend Mütter oder Väter, die aufpassen können. Hunde bekommen ihren Auslauf, Kinder nicht. Dabei seien auch Hunde in der Lage, das Virus transportieren, heißt es. Ein Plan zur schrittweisen Öffnung der Kitas und Schulen ist dringend geboten. Kinder, die bestimmte Bedingungen brauchen, um an Leib und Seele reifen zu können, dürfen nicht das Opfer einseitiger deutscher Gründlichkeit werden. PC und Smartphone ersetzen die Freiheit nicht. Die Folgeschäden mangelnder Entwicklungsmöglichkeiten sind durchaus mit den Folgen der Corona-Belastung gegenzurechnen.

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Offenbachs Offenbarungen

In einer von Sonntag Aktuell am 22.8.10 veröffentlichten Kolumne attackiert Susanne Offenbach ihren Kollegen Zielcke, der es unlängst gewagt hatte, seinem Bedauern über Deutschlands niedrige Kinderzahl journalistischen Ausdruck zu verleihen. Dass wir weltweit Schlusslicht beim Kinderkriegen sind, ficht die Kolumnistin Offenbach nicht im Geringsten an: „es ist nicht schlimm, wenn wir weniger werden“. Im Übrigen seien die Männer an allem schuld, denn sie entzögen sich ihren Vaterpflichten oder erfüllten sie allenfalls mit einem „Bankdauerauftrag“. Es seien die Frauen, die alles zu schultern hätten. Dann bringt Frau Offenbach das Thema so auf den Punkt: „Mutterschaft ist zumindest in Form von eigenem Geld und eigener Rente nichts wert.“ Selten hat eine Nicht-Mutter ihre materialistische Grundhaltung deutlicher offenbart; daran ändert auch das Adverb „zumindest“ nichts.

Dann ruft Offenbach das „Ende des Generationenvertrags“ aus und erklärt schlicht, dass stattdessen jeder gefälligst selbst für seine Alter vorsorgen solle. Jeder ist sich selbst der Nächste, so lautet ihre Sonntagsbotschaft. Wie schön für sie, wenn sie für solche Sätze auch noch Geld erhält – ein kleiner Beitrag zu ihrer Altersvorsorge. Der größere besteht darin, dass sie sich die Ausgaben für Kinder spart. In der Tat, Frau Offenbach braucht die Solidargemeinschaft, auf die sie pfeift, nicht mehr.

Als Dreingabe bekomme ich noch diese Offenbach-Sätze: „Kinder müssen nicht sein.” Es gebe auch gelungenes Leben allein, zu zweit, mit Freunden und “übriger Kraft für den kranken Nachbarn”. Dass sich so mancher Kinderwunsch nicht erfüllt, ist für die Betroffenen oft genug eine traurige und belastende Erfahrung. Susanne Offenbach hingegen freut sich über ihr „gelungenes Leben“ als Kinderlose und ist stolz darauf, dass sie in jüngeren Jahren nicht auf die „patriarchalische Propaganda“ hereingefallen ist. Dass sie dann aber auch noch so unverfroren ist, den in einem Kirchenlied Paul Gerhardts genannten „kranken Nachbarn“ zur Verbrämung ihres Egoismus zu verwenden, macht wütend. Solche Kolumnen „müssen nicht sein“, Kinder schon.

(Blog-Eintrag Nr. 208)