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Unbedingt – Jugendamt bei Schulausschluss

Im Expertenbericht zu den Konsequenzen des Amoklaufs von Winnenden (siehe Stuttgarter Nachrichten, 30.9.09) wird offenbar gefordert, dass man bei „drastischen“ Ordnungsmaßnahmen, also vor allem beim Schulausschluss, das Jugendamt hinzuziehen soll. Das ist jetzt schon möglich.

Allerdings sind die entsprechenden Formulierungen im Schulgesetz reichlich verklausuliert. So heißt es im 8. Abschnitt des Paragrafen 90: „Ein zeitweiliger Ausschluss vom Unterricht kann, ein wiederholter zeitweiliger Ausschluss vom Unterricht soll dem Jugendamt mitgeteilt werden, ein Ausschluss aus der Schule wird dem Jugendamt mitgeteilt.“ Diese Steigerung der Modalverben („kann“, „soll“, „wird“ – man könnte hier auch sagen „muss“) ist eher verwirrend und führt in der Praxis dazu, dass man die zuständige Behörde erst auf der letzten Stufe, dem unbefristeten Schulausschluss, informiert. Informieren heißt aber nicht einbeziehen. Das ließe sich einfach ändern. Der Gesetzgeber müsste nur formulieren, dass bei allen Maßnahmen mit Schulausschluss, ob sie nun befristet oder unbefristet sind, das Jugendamt zu beteiligen oder einzuschalten ist.

Die andere Frage, ob nach einer solchen Gesetzesänderung jene Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, früher erkannt werden und ihnen früher als bisher hilfreiche Beratung zuteil wird, diese Frage ist damit noch nicht beantwortet. Auch das gemeinsame Handeln von Schule und Jugendamt wird, so fürchte ich, nicht alle Lebensprobleme gefährdeter junger Menschen lösen können.

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Ungeliehen – die angeblichen Leihstimmen

Nach dem Wählen kommt das Deuten. Vor allem jene, die mit dem Wahlergebnis nicht ganz zufrieden sind, haben den Drang, es zu interpretieren. Bei diesem Erklärungsprozess spielt wieder einmal das Wort „Leihstimme“ eine wichtige Rolle. Zu Unrecht, wie ich meine.

Besonders beliebt ist unter Christdemokraten die Auffassung, sie hätten mit ihren Leihstimmen der FDP zu einem guten Ergebnis verholfen. Schon seit mehreren Bundestagswahlen taucht dieses Ungeheuer aus dem Wahlsee auf. Einst verwendete man es gönnerhaft („Wir haben der FDP mit unseren Leihstimmen über die 5-Prozent-Hürde geholfen“), heuer dient es mehr der eigenen Entlastung: „Nur mit den Leihstimmen der CDU konnte die FDP so gut abschneiden.“
Mit dem Verb „leihen“ bezeichnen wir in der deutschen Sprache folgenden Vorgang: Jemand hat etwas, das ein anderer nicht hat. Er gibt es dem anderen für eine gewisse Zeit und erwartet danach die Rückgabe des Geliehenen. Manchmal wird eine „Leihgebühr“ verlangt.

Übertragen auf die Politik würde das heißen: Die CDU hat Stimmen, die die FDP nicht hat. Sie gibt sie ihr für eine Legislaturperiode und erwartet die Rückgabe bei der Wahl 2013. Als Gebühr verlangt sie Wohlverhalten in der Koalition.

Der Fehler ist offenkundig: Die CDU hat die Stimmen gar nicht, die sie angeblich der FDP leiht. Es sind die Stimmen der Wähler, und die entscheiden im Wahllokal, wem sie sie geben, der einen oder der anderen oder keiner Partei – wenn sie am Wahltag zu Hause bleiben. Die Bürger wählen haben diesmal so gewählt und das nächste Mal geben sie ihre Stimmen vielleicht wieder ganz anders ab. So ist das in der Demokratie. Auch die CDU und ihre Deutungshelfer müssen das lernen. Und die FDP sollte sich der wechselnden Gunst der Wähler bewusst bleiben.

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Unergründlich – der sogenannte Wählerwille

Wenn morgen Abend (am 27.9.09) das Ergebnis der Bundestagswahl vorliegt, wird ein Wort wieder fröhliche Urständ feiern: Wählerwille. Es wird gebraucht, um etwas auszudrücken, was es gar nicht gibt.

Sicher, es gibt den Willen von einzelnen Wählern. Die wollen entweder eine schwarz-gelbe Koalition oder eine rot-grüne, vielleicht auch eine rot-rot-grüne. Das können sie wollen, aber sie können es nicht wählen. Koalitionen stehen nicht zur Wahl. Wählen kann man (mit der Erststimme) eine Person oder (mit der Zweitstimme) eine Partei. Diese einzelnen Stimmen werden addiert und dann in einem umständlichen Verfahren in Sitze für die Parteien umgerechnet. Die Anzahl der Sitze im Bundestag ist also die Folge der Summe der einzelnen Kreuzchen auf dem Wahlzettel.

Diese Sitzverteilung und die daraus ergebenden Koalitionen als „Wählerwille“ zu bezeichnen, das ist reichlich kühn. Denn es wird so getan, als ob das, was als Regierung herauskommt, nicht nur einzelne, sondern „die“ Wähler gewollt hätten. Aus verschiedenen Einzelwillen wird plötzlich in der politischen Diskussion eine Art Gesamtwille konstruiert. Vielleicht ist das Ergebnis „der Wille“ einer Mehrzahl von Wählern, aber es ist kein „Wählerwille“.

Dieses Wort verwenden gern auch jene, die bei der Wahl zu wenig Stimmen errungen haben und daher nicht regieren dürfen. Sie behaupten dann, der Wählerwille sei verfälscht worden. Aber kann man etwas verfälschen, was nicht existiert?