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Demonstrieren und Schreien

Während im Stuttgarter Rathaus sich Befürworter und Gegner bei der Erläuterung des Stresstests zum Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 stundenlang verbal beharkten, mit einiger Polemik auf beiden Seiten gewiss, aber doch im Rahmen des Sachlichen, hatten auf dem Rathausplatz die Gegner  ihre Schreistunde.

Nun will ich gerne wieder einmal kundtun, dass Demonstrieren ein Grundrecht in der Demokratie ist. Auch sei es mir ferne, irgendeine herabwürdigende Äußerung über diese Menschen von mir zu geben, die sich – bei gelegentlichem Regen übrigens – nicht haben davon abbringen lassen, sich dem Stress des Public Viewing auszusetzen. Dabei war, was sich vor ihren Augen abspielte, von wesentlich geringerem Spannungsgehalt als ein Fußballspiel. Nein, diese Menschen sind durchaus zu bewundern.

Als Fensehzuschauer durfte man gelegentlich einen Blick auf sie werfen, aber meistens waren sie nur akustisch präsent. Dabei irritierte es mich doch ziemlich, dass die Missfallensschreie nicht etwa nach der Äußerung eines Projektverteidigers aufkamen, sondern schon beim Beginn von dessen Redebeitrag. Daraus schließe ich, dass nicht das Gesagte missfallen hat, sondern die Person. Es gibt welche, bei denen man freundlichen Beifall klatscht, und andere, die schreiende Aggression auslösen. Das ist nicht ganz im Einklang mit meinem Demokratieverständnis, das impliziert, den Andersdenkenden als Menschen auch dann zu respektieren, wenn man mit seiner Meinung nicht einverstanden ist.

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Die Zeitung und das Verständnis

Seit Wochen, ja eigentlich schon seit Monaten bittet mich die Stuttgarter Zeitung darum, sie zu verstehe, genauer: Verständnis aufzubringen. Und wofür? Dass sie so dünn geworden ist. Reichlich abgemagert liegt sie morgens im Briefkasten, heute sogar mit verknickten und verdruckten Seiten. Das ist, ist zu hören, die Folge des Arbeitskampfes, der sich in ihrem Hause abspielt. Offenbar ist man sich dort nicht einig über die Bezahlung der Redakteure. Das verstehe ich auch. Es ist ein normaler Vorgang in einem Staat, in dem das Gehalt zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt wird. Die Jornalisten wollen mehr verdienen, als ihnen die Verleger zubilligen. Zahlen werden zwar selten kaum genannt, aber offenbar sind die Jungredakteure nicht damit zufrieden, nur so viel zu verdienen wie ein Junglehrer.

Was ich nicht verstehe: Warum dauert dieser Streit und damit auch der Streik nun schon seit Monaten? Warum einigt man sich nicht, wie es sich für Tarifpartner gehört? Warum speist man die Kunden ständig mit „Notausgaben“ ab. Die sollen zwar weiter den ganz vollen Betrag für ihr Abonnemnt bezahlen, bekommen dafür aber nur eine halbleere Zeitung.

Ob es den Zeitungen und ihren Mitarbeitern mit diesem Kampf ums Geld gelingt, den Kampf gegen die elektronischen Medien zu gewinnen?

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Bahnhof und Stress

Wir kennen sie aus Kindertagen: Sie spielen nicht mehr mit, wenn sie verloren haben. Um überhaupt noch spielen zu können, musste man sie ab und zu gewinnen lassen. Aber wenn man dann mal erwachsen ist, geht das nicht mehr so einfach. Andererseits ist zu bedenken: Vielleicht muss man unseren Grünen immer mal wieder ein Erfolgserlebnis gönnen. Es besteht sonst die Gefahr, dass sie die Lust am Regieren verlieren.

Dabei nehme ich den Chef des Ganzen aus. Kretsche (so darf man ihn jetzt wohl nennen) zeigt Größe; er akzeptiert, zähneknirschend zwar, aber immerhin, das Ergebnis des Stresstests, der dem geplanten unterirdischen Bahnhof morgens um halb acht eine gute (oder sogar „optimale“) Funktionsfähigkeit attestiert. Trotzdem solle er natürlich nicht gebaut werden, denn er sei zu teuer und unnötig, heißt es frohgemut.

Der Tübinger Oberbürgermeister hingegen sieht das „naturgemäß“ (ein Lieblingswort von Thomas Bernhard, dem galligen Österreicher, der heuer 80 geworden wäre) ganz anders als sein Minsterpräsident. Er, Palmer, behauptet, die Bahn habe den Stresstest nicht bestanden. Mit dieser Haltung ist er nicht allein, wie man sich denken kann. Den Stuttgartern bleibt also das montägliche Demonstrieren und der deutschen Demokratie das Modell „gute Bürger gegen böse Etablierte“ erhalten. Was dabei auf der Strecke bleibt, werden wir sehen.