Kategorien
Gesellschaft Politik Schule

Schulisches Gendern

Als ob es nichts Wichtigeres gäbe – aber wahrscheinlich ist es eine Ablenkung vom ewigen Jammern über das noch immer nicht besiegte C-Virus. Das Kultusministerium hat es den Schulen überlassen, wie sie mit dem Gender-Thema in schriftlichen Äußerungen umgehen wollen. Sie dürfen selbst entscheiden, ob sie sich an die geltenden Rechtschreibregeln halten oder der sexuellen Vielfalt mit Sternchen, Schrägstrichen oder Unter-Strichen ihren sprachlichen Ausdruck geben wollen. Die Grammatiker haben resigniert. Viele Jahrhunderte war es klar, dass es einen Unterschied zwischen dem grammatischen und dem biologischen Geschlecht gibt. Mit den Wörtchen „der“, „die“ oder „das“ hat man maskuline, feminine und neutrale Wörter markiert, Wörter, nicht Lebewesen. Man hat den Wald mit „der“, eine Wiese mit „die“ und ein Gelände mit „das“ gekennzeichnet und nie daran gedacht, dass dabei etwas Geschlechtliches im Spiel sein könnte. Es gibt „das Lamm“ (feminin oder maskulin, aber grammatisch ein Neutrum, es gibt „den Ochsen“ (maskulin und männlich) und „die Kuh“ (feminin und weiblich). Jeder wusste, dass ein Kind grammatisch „sächlich“, vom Geschlecht her aber ein Mädchen oder Junge (oder x) war. Aber diesen grammatischen Konsens haben Teile der deutschen Gesellschaft aufgekündigt. Sie empfinden es als diskriminierend, nicht eigens erwähnt zu werden. Daher haben sich neben den „Damen und Herren“ viele andere Doppelungen etabliert: Genossinnen und Genossen, Arbeiterinnen und Arbeiter, Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Doppelung „Feministinnen und Feministen“ wurde noch nicht gesichtet. Aber mit der Doppelung ist es eh nicht getan. Es fehlen die Menschen, die sich weder dem Weiblichen oder Männlichen zuordnen lassen. Daher wurden die Sternchen, Schrägstriche und Unter-Striche geschaffen. In ihnen verstecken sich die Diversen. Eigentlich müsste man sagen: „die (hier nicht feminin, sondern plural für alle drei Genera gemeint) Divers*innen“, weil man nur so wenigstens ansatzweise die geschlechtliche Vielfalt sprachlich erfassen würde. Und wer entscheidet in den Schulen? Der oder die Schreibende, der oder die Lehrende oder die GLK (weiblich) im Verbund mit der Schulkonferenz (weiblich, trotz „der“)? Hier gibt es noch großen Handlungsbedarf für das (sächliche) Ministerium, die Ministerin (feminin) oder die (Vorsicht Plural) Beamt/innen.

3 Antworten auf „Schulisches Gendern“

“Viele Jahrhunderte war es klar, dass es einen Unterschied zwischen dem grammatischen und dem biologischen Geschlecht gibt.”
?- Ein schönes Beispiel für die historisch männliche Verfügungsgewalt über das “generische Maskulinum” ist der Fall Emilie Kemper-Spyri (1887). Aufgrund ihres Geschlechts wurde ihr das Anwaltspatent verwehrt. Zuvor hatte sie vor dem Bundesgericht die volle Gleichstellung der Frauen gefordert, mit dem Argument, dass der Begriff “Schweizer” in der Verfassung (“Alle Schweizer sind vor dem Gesetz gleich.”) Männer und Frauen meint. Mit dem Argument, diese Sicht sei “ebenso neu als kühn” wurde dies vom männlich besetzten Gericht abgewiesen.
An diesem kleinen Beispiel zeigt sich, wie von Machtkämpfen getränkt unsere Sprache immer war, was wir unbewusst/bewusst spüren und daher auch darüber reden sollten und es gut ist, nach aktuell angemessenen Formen zu suchen.
Es entspricht der gesellschaftlichen Realität, dass es auch in den Schulen bezüglich der Gender-Sensibilität gegenwärtig keine abschließende Regelung zur Sprachen “von oben” geben kann. Daran können die Lehrer* und Schüler*innen wachsen.

Die Unverschämtheit, einen Begriff wie “Schweizer” auf die männliche Bevölkerung zu reduzieren, mag auch mit den speziellen Verzögerungen der Frauen-Emanzipation in der Schweiz zu tun haben. Wenn es in unserem Grundgsetz heißt, dass die “Würde des Menschen unantastbar” sei, dann wird niemand unter einem Menschen nur den “alten, weißen Mann” verstehen. Natürlich kann sich an der Sprache der männliche Machtmissbrauch zeigen. Nur: Wie werden wir dem “Herr”? Wie ändern wir die Verhältnisse? Es könnte ja sein, dass wir es hinbekommen, dass alle Männer “korrekt” reden, ein Teil von ihnen aber an ihrer Führungsrolle dennoch festhält. Man kann sich hinter dem Gendern verstecken, auch der “böse Mann” kann das. Ihm die Maske vom Gesicht zu reißen, wird über die Sprache nicht gelingen. Man muss ihm die Struktur nehmen, die ihm sein Spiel ermöglicht. Das Thema gehört in die Schule, aber vielleicht eher in den Politik-Unterricht.

Wenn man freilich die Sprache per se politisieren möchte, wäre kein Heranziehen eines Schweizer Gerichtsbeschlusses aus dem 19. Jahrhundert erforderlich. Das hat man zeitlich und geografisch näherliegend, wenn man sich die (immer noch) zahlreichen Verstöße innerhalb unserer Landesgrenzen seit Bestehen des Grundgesetzes vor Augen führt. Die §§ 2 und 3 wurden und werden immer schon malträtiert, sei es durch die Verhinderung der eigenen Vermögensverwaltung durch Frauen, der Unmöglichkeit der eigenen Berufsausübung ohne Genehmigung des Ehemannes (beides bis Ende der 1950er Jahre) oder sogar offen ausgesprochener Verbote nicht-legislativer Instanzen, wie z.B. die Ausübung von Fußball durch Frauen (vom DFB bis etwa 1970 ohne ernsthafte Begründung untersagt).
Und immer noch gibt es in Deutschland praktisch keine signifikant wahrnehmbare Entgeltgleichheit in der Privatwirtschaft.
Aber anzunehmen oder gar ernsthaft zu verfechten, daß dies durch eine zunehmend erzwungene “Anpassung” des Sprachgebrauches herbeigeführt werden könne, ist Unfug – zumal, wenn dies in so ungekonnter Weise erfolgt, wie derzeit zu beobachten.
Dabei spreche ich noch nicht mal davon, wie enervierend es ist, fortwährend auf irgendwelche neue Markierungen zu stoßen ( * oder : oder Erweiterung “Innen” oder _ oder oder oder), sondern von den zahlreichen Sprachheroen, denen irgendein Substantiv noch nicht ausreichend feminiert erscheint. Wie der Stroh dreschende Häcker ganz richtig schreibt: Die Erkennung des Unterschiedes zwischen Genus und Sexus ist sehr hilfreich. Wenig hilfreich hingegen ist es, die Sprache zum Spielball einer politischen Pseudo-Rebellion heranzuziehen, nur weil man eben diesen Unterschied nicht begreift.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.