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Kirche

Ringende Kirchen

In den Presseberichten über den Stuttgarter Katholikentag taucht die Metapher von der Kirche auf, die um Reformen ringt. Nun braucht es zum Ringen bekanntlich zwei, die es miteinander tun. Manchmal gibt es beim Ringkampf ein Remis, aber in der Regel wird ein Teilnehmer zum Sieger erklärt. Wird es beim katholischen Ringen um Fortschritte, man könnte auch sagen: um Reformen, einen Sieger geben? Werden jene, die sich für Frauen als Priester einsetzen oder für eine neue Sexualmoral, für klare Regeln bei Missbrauch oder für die Abendmahlsgemeinschaft mit den verketzerten Protestanten und anderes erfolgreich ringen? Oder werden sie allenfalls ein Remis bekommen, das besagt, dass sich nichts ändern wird, aber man weiter über Änderungen reden darf? Bei den Evangelischen gibt es manche der oben genannten Probleme nicht in diesem Ausmaß, dafür aber andere: Wir haben eine Gottesdienstordnung, die von außen Kommende ratlos macht oder nur einfach langweilt, viele haben ein pietistisch geprägte Bibelverständnis, das die Texte als Beschreibungen realer historischer Vorgänge nimmt, die Leitung zeigt Mutlosigkeit beim Reden über die Probleme der Welt. Der Klimawandel ist für manche gottgewollt und daher unabänderlich, in der Ukraine kämpfen Russen gegen Russen – lasst sie doch machen. Die Pandemie ist ebenfalls „von oben“ gekommen. Sie soll den Menschen für seine Sünden strafen. Impfen ist Teufelszeug und ein Eingriff in den göttlichen Willen. Die Probleme der Ungleichverteilung von Vermögen geht die Kirche nichts an, Hauptsache, sie hat selbst regelmäßigen Einnahmen. Und was hat die Kirche damit zu tun, dass Menschen fliehen? Politik, so hört man aus frommem Munde, hat in der Kirche nichts zu suchen. Vielleicht – meint Häckerling – sollte es andersherum sein: Diese Art von Frommen haben in der Kirche nichts zu suchen. Wird eigentlich jemals aufgearbeitet werden, was die pietistische Erziehung an vielen Kindern angerichtet hat? Also: Welche Traumata dadurch vermittelt wurden, welcher Missbrauch mit den kindlichen Seelen man getrieben hat. Das Ringen um eine bessere Kirche hat noch kaum begonnen.

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Politik Verwaltung

Verzögertes Handeln

Nicht zum ersten Mal muss der Blick auf unsere Administration fallen, erleben wir doch bei der digitalen Ausstattung der Schulen und der Verwaltung schon lange ein gemütliches Trödeln. Gestern gab es in den Medien gleich vier Meldungen, die in der Summe das Problem der retardierenden Verwaltungstätigkeit offenbarten. Zum einen: In den Kitas fehlen viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Folge: Es gibt zu wenig Betreuung, das einzelne Kind kommt zu kurz. Die Gruppen sind zu groß oder müssen schließen, wenn sich jemand krankmeldet. Die Ursache liegt auch im zu langsamen Ausbau der Ausbildungskapazitäten. Zweites Problem: Es wurden weniger Wohnungen gebaut, als geplant waren. Das Jahresziel 400000 hat man nicht erreicht. Gehapert habe es am Geld, an den Handwerkern, am Material und natürlich an den Lieferketten. Auf Letztere kann man derzeit alles schieben. Drittens: Das Einkassieren der Vermögenswerte der Putin-Oligarchen gelingt so gut wie gar nicht. Deutschland liege hier im europäischen Vergleich weit zurück. Der Hauptgrund: ein Zuständigkeitswirrwarr. Zu viele sind zuständig oder meinen es zu sein. Man blockiert sich gegenseitig. Oder ist die Wahrheit die, dass man nicht so recht an das Thema ran will – aus traditioneller deutsch-russischer Freundschaft? Viertens: Die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine findet nicht statt. Deutschland habe noch keine einzige geliefert. Woran es liegt, wird nicht gesagt. Oder ist es auch hier die bekannte Masche? Eigentlich wollen wir der Ukraine gar nicht liefern, um die Russen nicht zu verärgern, daher finden wir dauernd Gründe, warum es nicht klappt.

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Geschichte Politik

Geschichtliche Verantwortung

Deutschland habe gegenüber der Ukraine eine geschichtliche Verantwortung, heißt es. Was das konkret bedeutet, lässt sich im Roman „Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin nachlesen, für den sie 2017 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Sie erzählt darin von der mühsamen Recherche der Geschichte ihrer Mutter. Die hat sich 1956 36-jährig das Leben genommen. Wodins Mutter hat als Kind in Mariupol gelebt. Sie entstammte einer einst wohlhabenden ukrainischen Familie, die nach der kommunistischen Revolution (1917) ihr Vermögen verlor. In den 1920er Jahren herrschte in der Ukraine nach der Landreform Stalins bitterste Hungersnot. Die 30er Jahre waren geprägt vom stalinistischen Staatsterror. Wer als Gegner des Regimes galt, kam nach Sibirien oder wurde umgebracht. Unter den rund 20 Millionen Opfern waren auch viele Ukrainer. 1941 eroberte Hitlers Armee die Ukraine. Die Besatzungsmacht rekrutierte Wodins Mutter als Mitarbeiterin im Arbeitsamt von Mariupol. Als die Sowjets das Land zurückeroberten, floh sie wie zehntausende andere mit ihrem Mann ins Deutsche Reich. Mariupol wurde vom deutschen und sowjetischen Militär völlig zerstört. Bis Kriegsende arbeitete die Mutter als rassisch minderwertige „Ost-Arbeiterin“ unter katastrophalen Bedingungen in der Rüstungsindustrie. 1945 wurden diese Zwangsarbeiter von den Amerikanern als Displaced Persons in Lagern zusammengefasst. Eine Rückkehr in die weiter zur Sowjetunion gehörenden Ukraine hätte den sicheren Tod bedeutet, denn mit „Kollaborateuren“ der Deutschen machte man dort kurzen Prozess. Auch in Deutschland verachtete man diese ehemaligen Ost-Arbeiter. Wodins Mutter verfiel in Depression. Nach ihrem Freitod in der Regnitz blieben zwei Mädchen als Halbwaisen zurück. Ein bedrückendes Buch über NS-Opfer, die nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen.