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Unspektakulärer August

Er war kein Rekordmonat, der August 2022. Fast mit Bedauern wird das gemeldet. Gewiss, er war immerhin eher warm und zu trocken und konnte so den Klimawandel einigermaßen bestätigen. Aber wir Menschen brauchen ständige Rekorde beim Wetter um daran zu glauben, dass es ernst ist mit der Veränderung des Klimas. Wir sind gut darin, unangenehme Meldungen abzuwehren. Hinweise darauf, dass sich eine Katastrophe anbahnt, nehmen wir sensationslüstern zur Kenntnis, aber dass dies eine Änderung unseres Lebensstils nach sich ziehen müsste, wehren wir energisch ab. Warum sollte ich mein Leben ändern? Sollen sich doch die anderen ändern, die Reichen zum Beispiel! Die, die sowieso an allem schuld sind. Ich soll weniger reisen? Warum denn? Das gehört zu meinem Leben; das steht mir zu; das habe ich mir verdient. Ich soll weniger Fleisch essen? Warum eigentlich? Man will mir auch noch das verwehren. Der Mensch braucht Fleisch, es ist gesund. Ohne Fleisch ist seine Ernährung unvollkommen. Schon immer hat die Menschheit Fleisch gegessen. Warum soll man das ändern? Ich soll die Heizung herunterdrehen? Auch das noch. Soll ich etwa frieren? Das wäre ja noch mal schöner. Ich soll sparen? Dass alles teurer wird, ist ein Skandal. Aber der Staat muss uns ja helfen, damit wir die Inflation nicht spüren. Dafür ist er da. Der August 2022 war ein schöner Ferienmonat, ein bisschen zu trocken vielleicht, aber richtig sommerlich. Er liefert keinen Grund, den Lebensstil zu ändern.

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Georgische Wirren

In Nino Haratischwilis Roman „Das mangelnde Licht“ (2022, Frankfurter Verlagsanstalt) geht es um vier Freundinnen, die im Tiflis der 1990er Jahre aufgewachsen sind: Nene hat Freude an Männern, Ira ist sehr klug und lesbisch, findet aber bei Nene kein Gehör, Dina ist mutig und eine begabte Fotografin, Keto ist die Vermittelnde in diesem Quartett. Sie leidet unter den familiären Spannungen und den Konflikten zwischen den Freundinnen. Sie ritzt sich, um sich durch Schmerzen zu entlasten. Keto erzählt aus dem Abstand von 30 Jahren die Geschichten der vier jungen Frauen. Die wären normaler verlaufen, wenn sie nicht in Georgien während der postsowjetischen Wirren nach 1991 gelebt hätten. Georgiens Weg in die Selbstständigkeit war schwierig. Warlords und Gangs regierten. Präsident Schewardnaze gelang es nicht, das Land zu stabilisieren. Die Russen verfolgten ihre Interessen. Die Brüder der Mädchen geraten in mafiöse Verwicklungen. Der Heroinhandel bietet ihnen die Chance, reich zu werden. Die jungen Frauen werden zu Schachfiguren der Männerwelt. Es kommt zu Streit, zu gewaltsamen Todesfällen. Das Land wirtschaftet ab; der Hunger nimmt zu. Hoffnungslosigkeit breitet sich aus. Dina reüssiert als Journalistin und Fotografin. Sie liebt Ketos Bruder Rati und versucht vergeblich ihn aus den Fängen der Sucht befreien. Verzweifelt ob der privaten und politischen Situation bringt sie sich um. Die Freundinnen verstehen diesen Freitod nicht. Jahrzehnte später treffen sie sich in Brüssel. Eine Ausstellung mit Fotos von Dina, die Georgiens schwere Zeiten und ihre Freundschaft dokumentiert, wird eröffnet. In dieser Brüsseler Nacht gelingt es ihnen, das zur Sprache zu bringen, was lange als Last und Schuld zwischen ihnen gestanden hat. Nino Haratischwili verbindet in diesem eindringlich erzählten Roman die Verletzungen ihrer Heimat Georgien mit denen der vier Frauen.

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Wärmende Ideen

Aus dem in der Ferne als abstraktes Phänomen Krieg ist ein sehr konkretes hiesiges Problem geworden. Während hinten weit im Donbass Raketen einschlagen, Menschen sterben und um militärische Vorteile gerungen wird, schlägt man hier die Schlacht um die winterliche Wärme. Ob der Mensch ein Recht auf eine bestimmte Raumtemperatur hat, werden die Gerichte klären müssen. Manche haben schon klug vorgesorgt und Elektrogeräte erworben, die eine angenehme Temperatur in den winterlichen Räumen schaffen sollen. Diese Vorsorglichen gehen offenbar davon aus, dass es an Elektrizität nicht mangeln werde. Da könnten sie recht haben, denn schließlich gibt es funktionierende Kohlekraftwerke und Atommeiler, die in den „Streckbetrieb“ geschickt werden können. Wie gut, dass wir von der Sorge ums Klima für eine Weile hochoffiziell dispensiert worden sind. In der Abwägung der Güter rangiert die warme Stube vor der CO2-Reduktion. Manche trauen dem Strom nicht und setzen aufs Holz. Inzwischen seien alle Vorräte an Brennholz ausverkauft, auch Kamine, in denen es verheizt werden kann, gibt es keine mehr. Wir dürfen uns also auf einen Winter freuen, in der die Luft vom Aroma verbrennenden Holzes erfüllt sein wird. Ich bekenne: Mir stinkt das. Wieder einmal zeigt es sich, dass in der Not der Grundsatz gilt. Rette sich, wer kann. Zuerst komme ich und dann kommt lange nichts. Das Gemeinwohl – ist das Wort eigentlich noch bekannt? – interessiert nur eine kleine masochistische Minderheit. Was für Zeiten!