Es war einmal eine Zeit, in der man nach neun Jahren das Abitur ablegte. Die jeweils drei Schuljahre waren klar gegliedert in Unter-, Mittel- und Oberstufe. Die elfte Klasse diente der Vorbereitung auf die Kursstufe. In 12 und 13 absolvierten die Schülerinnen und Schüler Grund- und Leistungskurse. Am Ende wurden ihre Punkte zusammengezählt und ein Ergebnis als Note mit Zehntelschritten formuliert: 1,3 oder 2,4. von diesem NC-Schnitt hing es ab, ob und wo man studieren durfte. Diese neunjährige Schulzeit war lang. Man stellte fest, dass deutsche Abiturientinnen und Abiturienten im internationalen Vergleich überaltert waren. Man konnte auch nicht leugnen, dass die Zeit in der Schule so üppig war, dass sich Nebenjobs gut damit verbinden ließen. Da am Ende alle Schülerinnen und Schüler volljährig waren, konnten sie sich selbst entschuldigen. Die Präsenzprobleme nahmen zu. Da verfiel man auf die Idee des achtjährigen Gymnasiums. Nun fehlte plötzlich ein Jahr. Der Umfang des Lehrstoffs musste vermindert werden. Aber das war schwierig. Liebgewordene Inhalte einfach aufzugeben, fiel den Fachschaften schwer. Auch der Ausweg, nicht Lehrinhalte, sondern Kompetenzen zu vermitteln, war keiner. Ein Teil der Lehrerschaft hatte große Mühe, in Kompetenzen zu denken. Selbst Fortbildungen hatten keinen Erfolg. Die Eltern beklagten sich über den Zeitdruck, unter dem ihre Kinder stünden. Sportvereine und Musikschulen jammerten über Terminprobleme und sinkende Teilnehmerzahlen. G 8 wurde zum Inbegriff einer gescheiterten Reform. Und so drehte man das Rad zurück. Manche Bundesländer stellten ganz auf G 9 um, andere boten beides an. Man darf annehmen, dass die Rolle rückwärts bald allgemein sein wird. Dann können wir uns wieder über die Probleme von G 9 unterhalten; siehe oben.
Monat: November 2022
Südafrikanischer Roman
Wird es eingehalten werden, dieses Versprechen gegenüber der schwarzen Haushalthilfe Salome, man werde ihr das Haus schenken, in dem sie seit Langem mit ihrer Familie wohnt? Der Roman „Das Versprechen“ von Damon Galgut (2021, Luchterhand-Verlag) spielt in Südafrika und umfasst eine Zeitspanne von fast vierzig Jahren. Die Struktur bekommt er durch die Beerdigungen. Nacheinander sterben vier Mitglieder der Familie Swart: Rachel, die Mutter, an Krebs, Manie, der Vater, an einem Schlangenbiss. Dann wird die Tochter Astrid das Opfer eines Gewaltverbrechens und schließlich bringt sich der Sohn um; Anton ist ein Versager, der zum Alkoholiker wird. Sie sind Weiße und leben in einem Land, das sich in diesen Jahrzehnten gewaltig verändert. Am Anfang regieren noch die Kolonialherren. Dann wird Nelson Mandela freigelassen und die Machtstruktur wandelt sich. Es gibt mehr Freiheit für die Schwarzen, die Wirtschaft boomt, aber auch das Verbrechen. Der allwissende Erzähler, der hier eine herausragende Rolle spielt, lässt uns an den Gedanken und Gefühlen der Swarts teilhaben, springt vom einen zum andern, kommentiert das Geschehen und stellt Bezüge her. Der Niedergang dieser Familie spiegelt die Probleme des Landes. Salome aber, die den Swarts ein Leben lang gedient hat, wartet auf die Erfüllung des Versprechens. Am Ende bleibt nur noch Amor übrig, die jüngere der beiden Swart-Töchter. Sie kann das zu Ende zu bringen, was bisher versäumt wurde. Ein großer Roman, mit scheinbar leichter Hand geschrieben, der zu Recht den Booker-Preis 2021 erhalten hat.
Ukrainische Geschichte
Es gibt allerlei, was man über die Ukraine weiß oder zu wissen meint, aber doch nicht richtig weiß. Warum beansprucht Russland diesen Staat als sein Eigentum? Sind seine Unabhängigkeitsbestrebungen eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts oder gibt es sie schon länger? Wie haben sich die Zaren gegenüber der Ukraine verhalten, wie Lenin und Stalin? Was hat Deutschland mit dem Land zu tun? Steffen Dobbert zeichnet in „Ukraine verstehen“ (Verlag Klett-Cotta) die Geschichte, Politik und den Freiheitskampf des Landes nach. In diesem handlichen und gut zu lesenden Büchlein verschweigt Dobbert nicht die problematischen Phasen des Landes, als Nationalisten ohne Rücksicht agierten, aber er würdigt auch ausführlich die verschiedenen Freiheitskämpfe bis hin zu den Orangen Revolutionen. So entsteht das Bild eines Landes, dem seine Nachbarn immer wieder verwehren, eigenständig zu werden. Die russischen bzw. sowjetischen Nachbarn beuteten es brutal aus. Stalin ließ in den 1930er Jahren rücksichtslos Millionen verhungern, weil er das ukrainische Getreide devisenbringend verkaufen wollte. Das Deutsche Reich holte sich während der NS-Zeit Ukrainerinnen und Ukrainer als Fremdarbeiter: In ihnen sah man eh nur Menschen zweiten Ranges („Untermenschen“). Dass Russland ohne jeden begründbaren Anspruch das Ziel hat, sich diese „Grenzregion“ einzuverleiben, seine Rohstoffe zu nutzen und jede kulturelle Eigenheit, vor allem die Sprache, zu unterdrücken, wird in Dobberts Buch ausführlich begründet. Putins Ziele sind mit denen Stalins identisch: die Russifizierung der Ukraine, die Vernichtung der dortigen politischen Führung, die Zerstörung seiner Bindung an den Westen. Die Ukraine ist für ihn, den neuen Stalin, ein Teil des russischen Imperiums und hat kein staatliches Existenzrecht. Besonders interessant ist das 16. Kapitel dieses Buches, wo mit den Lügen und dreisten Behauptungen aufgeräumt wird, die die russische Propaganda und ihre deutschen Freunde über die Ukraine verbreiten.