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Mittelständisches Schichtproblem

In diesem Blog sind folgende Äußerungen zu lesen; ihre Deutung könnte zu einer PISA-Aufgabe (Bereich Lesen und Textverständnis) werden. M schrieb:

Obgleich es jeder weiß, sei es hier doch nochmals zur Erinnerung gesagt: Der deutsche Mittelstand erwirtschaftet den mit Abstand größten Anteil des deutschen Bruttosozialproduktes, stellt die mit Abstand meisten Arbeitsplätze. Ohne den Mittelstand – aber auch Kleinunternehmer und Freiberufler – wäre Deutschland ökonomisch (und politisch) ein NICHTS. Deutschlands kreativste und produktivste Leistungsträger findet man vor allem genau hier: Unter den Freiberuflern, den Selbstständigen, den mittelständischen Unternehmern. … Unter Mittelstand verstehe ich (wie alle BWLer) ausschließlich mittelständische Unternehmen (Unternehmer), also nicht etwa eine soziale Gesellschaftsschicht.

Darauf antwortete H unter anderem:

Seine <Ms> Definition von Mittelstand mag BWL-Studierende beglücken. Aber wen rechnet er zur Mittelschicht? Gibt es die überhaupt noch?“

Dies wiederum führte zu folgender Reaktion von M:

Das wahre – nun klar – in Erscheinung tretende Problem ist wohl doch, dass <H> begrifflich beispielsweise nicht unterscheiden kann … zwischen Mittelschicht und Mittelstand. Aber das kann H ja wohl sehr gut, Menschen klassifizieren, deshalb gehört jeder auf die Hauptschule, der Mittelstand sagt und auch wissend meint und dies folglich nicht mit Mittelschicht verwechselt.

Fragen und Aufgaben:

1.      Fasse Ms Definition von „Mittelstand“ in einem Satz zusammen.

2.      Was wollte H in seiner Antwort zum Ausdruck bringen?

3.      Wie versteht M die Antwort von H?

4.      In welchem logischen Zusammenhang steht der letzte Satz von M („Aber …“) mit dem vorher Geäußerten?

5.      Formuliere eine klärende Stellungnahme, die geeignet wäre, zwischen M und H zu vermitteln.

(Blog-Eintrag Nr. 244)

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Corpus Delicti

Was für ein kluges, raffiniertes Buch hat Juli Zeh uns da geschenkt! Sie stellt in „Corpus Delicti“ eine Zukunft vor, an der wir bereits intensiv arbeiten: eine Gesellschaft, in der die Gesundheit über allem steht. Die Menschen werden verpflichtet, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben, auf das Rauchen zu verzichten und ihre „Werte“ ständig kontrollieren zu lassen. Wer sich Abweichungen erlaubt, muss mit Sanktionen rechnen. Die Medien propagieren diese gesunde Welt so intensiv, dass niemand daran zu zweifeln wagt. Die Losung lautet: „Ein Mensch, der nicht nach Gesundheit strebt, wird nicht krank, sondern ist es schon.“

Die Geschichte, die Juli Zeh erzählt, spielt so etwa in der Mitte des 21. Jahrhunderts. Das lässt gelegentliche Rückblicke auf die furchtbare Zeit des 20. Jahrhunderts zu, als die Menschen noch über allerlei Leiden klagten. Natürlich gibt es auch Widerstand gegen den staatlichen Gesundheitsterror, unter anderem die Bewegung „Recht auf Krankheit“. Aber die wird gnadenlos unterdrückt. Die beiden Personen, an denen Zeh den Kontrast zur wunderbaren Welt der Gesundheit durchspielt, sind die Geschwister Moritz und Mia Holl. Der eine schafft es bis zum Märtyrer, der anderen wird diese Rolle verwehrt. Aber es geht ihr trotzdem schlecht: in ihrem Haus, wo man sich angepasst verhält, vor Gericht, wo man sie in jeder Hinsicht „vorführt“, und in den Medien, wo man schonungslos mit ihr abrechnet.

Die Geschichte wird mit feiner Ironie erzählt, in einer klaren, pointierten Sprache. Kein Roman soll „Corpus Delicti“ sein, obwohl ihn die Bibliothek unter Science-Fiction einordnet, sondern „Ein Prozess“. Es ist beides. Erschienen ist die Geschichte dieser leibfreundlichen und lebensfeindlichen Gesellschaft 2009 im Verlag Schöffling & Co.

(Blog-Eintrag Nr. 243)

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Deutsch schafft sich ab

Der Minister (Diener) Ramsauer meint das. Er geht daher gegen Fremdwörter, vor allem Anglizismen (Wörter mit englischem Hintergrund), in „seinem Haus“ vor, dem „Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung“, also nicht für Sprachentwicklung. Ohne Druck, wie es heißt, oder nur mit dem sanften Druck der Empfehlung werde das Ziel umgesetzt. Weit ist der Herr Ramsauer damit allerdings noch nicht gekommen, wenn man einen Blick auf die Homepage (künftig „Heimseite“?) seines Hauses wirft.

Dort liest man allein auf dem „Deckblatt“ die folgenden Wörter: Energie, Klima, Konzept, Strategien, Effizienz, reduzieren, Aktuelles, Modell, Regionen, Elektromobilität, situationsbezogen, Interview, Pressefotos, Mediathek, Ordnung, Rubrik, Zentren, Publikationen, E-Mail, Zukunftstechnologien, Organigramm, Impressum.

Darunter sind – zugegeben – wenige Vokabeln (Wörter) mit einem englischen Hintergrund. Es dominieren (überwiegen) Ausdrücke, die auf das alte Griechisch oder Latein zurückgehen. Müssen wir daher annehmen, dass im Hause Ramsauer zwar alte Fremdwörter toleriert (geduldet) werden, neuere aber, solche aus Amerika zum Beispiel, nicht. Liegt hier ein Fall von Diskriminierung vor? Der Europäische Gerichtshof möge das doch bitte überprüfen.

Häckerling wird sich in die Phalanx (Schlachtreihe) der Kämpfer gegen englische Wörter einreihen, aber nicht vorne, bei der Avantgarde (in der vordersten Reihe), sondern allenfalls hinten, bei  der Arrière-Garde (der Nachhut). Seine Vision (Ziel) ist eine noch umfassendere: Deutschland soll ein klares, verständliches Deutsch reden und schreiben: im TV (Fernsehen), im Bundestag und in den Landtagen, in den Zeitungen, in seinen Gesetzen und überhaupt. Das geht, wenn man es will – oder kann. Dann jedenfalls wird die Abschaffung der deutschen Sprache noch eine Weile währen.

(Blog-Eintrag Nr. 242)