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Fluchten

Vom Wort „Flucht“ im Sinne von Fliehen gibt es keinen Plural, nur von der Flucht im Sinne der geraden Linie beim Erstellen von Gebäuden ist auch die Mehrzahl in Gebrauch. Das erweist sich derzeit als eine Spezifizierungslücke der deutschen Sprache. Denn wir haben es derzeit mit zahlreichen Fluchtzentren zu tun: Syrien, Afghanistan, Afrika, Balkan. Die Bilder in den Medien sollen aufrütteln, verwirren aber nur. Menschen liegen in den Straßen der Insel Kos, klettern in mazedonische Züge, steigen auf LKW, die durch den Kanal nach England fahren, drängen sich auf maroden Schiffen vor der italienischen Küste. Man sieht Menschenschlangen in den deutschen Aufnahmelagern, sieht Turnhallen vollgestellt mit Feldbetten, hört von der Drohung eines Bürgermeisters, Häuser zu beschlagnahmen. Der Innenminister korrigiert die Zahl der erwarteten Flüchtlinge nach oben, Länder und Kommunen möchten mehr Geld. Die Zahl der fremdenfeindlichen Attacken nehme zu, heißt es, vor allem im Osten der Republik – aber das zu sagen verstößt gegen die politische Korrektheit. Was ist eigentlich das Problem? Droht uns eine Islamisierung? Bei uns herrscht Glaubensfreiheit. Werden wir „überfremdet“? Dass andere anders sind als wir selbst, das war schon immer so. Manche Deutsche sind mir schon immer so was von fremd. Schaffen wir es nicht, die Asylverfahren ordentlich abzuwickeln? Beamte kann man jederzeit zu anderen Aufgaben verpflichten. Ist das Boot voll? Ein Land ist kein Boot und ein schrumpfendes Volk kann schlecht mit der Metapher „voll“ argumentieren. Kostet das alles zu viel Geld? Der Kauf von Naturalien für Flüchtlinge und deren Taschengeld sind ein (kleines) Konjunkturprogramm. Trotzdem wäre es besser, es gäbe weniger Fluchtlinien und die Gründe fürs Fliehen verschwänden.

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Mayer-Vorfelder

Was hat der dieser Tage Verstorbene im Blog Häckerling zu suchen? Zu schildern ist eine Begegnung mit dem Kultusminister MV und was aus ihr geworden ist. Es war in den 1990er Jahren. Der Blogschreiber war Schulleiter und hatte in dieser Eigenschaft einen Draht zur Familie des Ministers. Schulleiter an Gymnasien hatten es damals (wie heute) nicht leicht, übrigens auch nicht mit MV. Der Gedanke, der Minister müsste mal aus „erster Hand“ etwas von diesen Problemen erfahren, lag nahe. Und tatsächlich bekamen die Schulleiter RH und KH einen Nachmittagstermin im Ministerium. Wir wurden ins Zimmer von MV gerufen. Sie Mitarbeiter wurden vom Chef nach draußen komplimentiert. Ihren verdrießlichen Mienen war zu entnehmen, dass ihnen das missfiel. Wir besprachen die ganze Palette der aktuellen Schulprobleme, offen und nur mäßig diplomatisch eingefärbt. Er wollte hören, was wir dachten, worüber wir uns ärgerten, was wir ändern würden. Er hörte zu, fragte nach, machte sich eifrig Notizen. Dann wurden wir entlassen. Einige Wochen später war Schulleitertagung. Dort erlebten wir die unmittelbare Wirkung des Gesprächs im Ministerium. Wir wurden zitiert, natürlich ohne Namensnennung, aber klar erkennbar – und hatten das Gefühl, ein ganz klein wenig in der Schulpolitik bewegt zu haben. MV war kantig, aber er konnte zuhören; das bestätige ich ihm gerne.

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Rechtsrangelei

Von wegen Sommertheater, es ist ein Verfassungskonflikt der besonderen Art, dessen Zeuge wir in diesen Tagen werden. Journalisten haben Dokumente veröffentlicht, die der Geheimhaltung unterliegen. Sie verfolgten damit einen politischen Zweck, ich unterstelle: einen ehrenwerten. Dann wehrten sich die Betroffenen, die Vertreter des Geheimdienstes und der Justiz; es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Sie seien bei derlei Verstößen dazu verpflichtet, beteuerten die Verantwortlichen. Auch das ist eine ehrenwerte Haltung. Es folgten die weiteren Reaktionen. Wie zu erwarten war, wehrte man sich seitens der Presse und sah die Pressefreiheit in Gefahr – eine ebenfalls respektable Haltung, denn die Presse muss frei sein. Und wie reagierte „die Politik“? Die fürchtete offenbar eine „schlechte Presse“ wie der Teufel das Weihwasser (wenn dieses Bild noch korrekt ist). Daher „ging sie auf Distanz“ zu den Ausgespähten und zum Generalbundesanwalt Range. Der schlug zurück und beklagte einen unzulässigen Eingriff der Politik ins Rechtswesen. Er hat insofern Recht, als nach dem Prinzip der Gewaltenteilung die Regierung (die Exekutive) keinen Einfluss auf die Justiz (die Judikative) nehmen darf. Leider ist die dritte Gewalt (die Legislative) derzeit im Urlaub. Daher kann die vierte Gewalt, die Presse, auftrumpfen. Range also hatte Recht, aber er durfte natürlich „seinen“ Minister der Justiz nicht öffentlich anklagen. Ergo musste der handeln und den Generalbundesanwalt entlassen. Musste er das wirklich? Hätte sich die Geschichte nicht anders managen lassen? Man hat den Eindruck, dass man auf Seiten der Politik – aller Gewaltenteilung zum Trotz – den Range schon lange loshaben wollte.