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Distanziertes Einkaufen

Das Einkaufen hat sich verändert. Auf den Wochenmärkten lässt sich das schön studieren. Wo sonst Enge und Gedränge herrscht, sind nun Zwischenräume der bestimmende Eindruck. Die einzelnen Stände stehen weit voneinander entfernt. Manche Marktbeschicker haben Barrieren vor ihren Waren errichtet. Auf dem Boden sind Markierungen im Anstand von gut eineinhalb Metern. Sich selbst zu bedienen ist strikt untersagt. Vor den Verkäufern stehen Menschenschlangen, aber in ungewohnter Choreographie. Die Wartenden sind gehalten Abstand zu wahren, zwei Meter jeweils. Ängstliche oder Menschen ohne Schätzungsvermögen entscheiden sich für die doppelte Entfernung. Das führt zu Verwicklungen, wenn die 10 bis 15 Wartenden zweier Schlangen sich ineinander verschränken. Dann bedarf es der Kommunikation, damit man niemanden verärgert oder gar in der falschen Reihe steht. Die Menschen sind erstaunlich diszipliniert. Man spürt Gelassenheit und Resignation, manchmal auch Humor. Fast niemand trug einen Mundschutz. Die meisten Kauflustigen werden eh keinen haben. Geredet wird wenig, bei zwei Metern Distanz miteinander zu sprechen ist anstrengend. Dabei hätte man sich wahrscheinlich einiges zu sagen.

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Verschlossene Bibliotheken

Dass Veranstaltungen, bei denen Menschen sich zuhauf begegnen, derzeit nicht möglich sind, leuchtet jedem ein. Unstrittig ist auch, dass man an den Orten, wo man sich die tägliche Nahrung beschafft, Abstand wahrt. Aber Häckerling will nicht in den Kopf, dass die Stätten der geistigen Versorgung zugesperrt sind. Die Buchläden sind zu und die Bibliotheken. Offenbar ist das geistige Wohl nicht so wichtig wie das materielle. Auch Buchhandlungen und Büchereien könnte man unter Wahrung der Distanzen zwischen den Menschen offenhalten. Das fordert jetzt der Schriftstellerverband PEN. Als ich die hiesige Bibliothek mit diesem Ansinnen behelligte, wurde mir eine saftige Belehrung zuteil: Die Schließung ist von Amts wegen erfolgt und daher alternativlos. Sich für eine andere, bessere Lösung einzusetzen, kommt den Herrinnen und Herren über die Buchbestände offenbar nicht in den Sinn. Einen sinnvollen Vorschlag vorzulegen, wie man den geistig darbenden Menschen (und den aufs Abitur Lernenden) die Bücher zugänglich machen könnte, liegt offenbar außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Armes Land Baden-Württemberg. Da hat es einen Philosophen als Ministerpräsident, aber keiner kommt auf die Idee, den Buchhandlungen und Bibliotheken grünes Licht für eine coronaadäquate Lösung zu geben. Vorgeschlagen wird von der Administration, wir sollten Bücher über den Versandhandel kaufen, unsere eigenen Bücher zu Hause noch einmal lesen oder in den Onlinekatalogen der Bibliotheken nach guter Lektüre suchen, die noch nicht ausgeliehen ist. Wie traurig!

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Apokalyptisches Szenario

Als ob er es geahnt hätte: Robert Harris schildert in seinem jüngsten Roman (erschienen im Heyne-Verlag) den Kollaps unseres Systems, aus der Sicht des Futur 2. Wie wird das gewesen sein, damals, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts? Der Roman „Der zweite Schlaf“ spielt im Mittelalter (1468) und zugleich in der Zukunft. Im Jahr 2025 – so die Fiktion – ist die hochtechnisierte Zivilisation zusammengebrochen. Der ganze Lebensalltag war damals nur noch elektronisch gesteuert. Daten und Programme, von denen alles abhing, lagerten in Clouds. Doch plötzlich funktionierte nichts mehr. Warum? Vielleicht war das System zu kompliziert geworden. Jedenfalls brach die Zivilisation, wie wir sie kennen, zusammen, die Menschen gerieten in Panik. Die Kirchen jener Zeit deuteten die Ereignisse als Weltuntergang und legten, dem letzten Buch der Bibel folgend, den Beginn einer neuen Zeitrechnung fest. Mit dem Jahr 666 (vgl. Offenbarung 13) begann eine andere Ära. Harris erzählt die Geschichte des jungen Priesters Fairfax, der in ein englisches Dorf geschickt wird, um den jüngst verstorbenen Pfarrer zu bestatten. Der war offenbar einer jener Ketzer, die trotz des Verbots der Kirche die Vergangenheit erforschten. Fairfax stößt auf Bücher, die von den Ereignissen vor über 800 Jahren berichten. Allmählich wird ihm klar, dass die Kirche aus eigenem Interesse ein System der Unterdrückung geschaffen hat. Fairfax beteiligt sich an Ausgrabungen, bei denen merkwürdige Dinge zum Vorschein kommen: Plastikteile, Reste von Fluggeräten, kleine Kästen, auf denen ein angebissener Apfel zu sehen ist. Es muss bei diesem „Weltuntergang“ furchtbar zugegangen sein. Eine Hungersnot brach aus. Die Menschen kämpften ums Überleben. Dabei gingen sie brutal und rücksichtslos vor. Jeder wurde sich selbst zum Nächsten. Die alte Gesellschaft, unsere heutige also, versank im Chaos. Harris zeichnet ein düsteres Bild unserer Gegenwart. Doch auch die neue Zeit wird nicht besser sein, meint er. Offenbar ändern sich die Menschen nicht.