Jetzt darf man also den Herrscher im Kreml einen Mann nennen, der unter Anklage steht. Vorgeworfen werden ihm Kriegsverbrechen, zum Beispiel die Verschleppung von Kindern aus der Ukraine nach Russland. Natürlich wird in Moskau gesagt, diese Anklage sei unerheblich. Kinkerlitzchen wie Folterungen oder Zerstörung ziviler Einrichtungen, die Vergewaltigung von Frauen oder das Kidnapping von Kindern interessieren die Männer und Frauen in der russischen Machtzentrale nicht. Also wird Herr P. nicht vor Gericht gestellt werden. Was lernen wir daraus? Staatenlenker stehen über dem Gesetz. Wenn ihnen der internationale Gerichtshof in Den Haag ans Bein pinkelt, ist das allenfalls lästig, aber ansonsten ohne Belang. Was wir in diesem Zusammenhang dieser Meldung auch noch erfahren haben, irritiert noch mehr: die USA, China und Indien lehnen den Haager Gerichtshof ebenfalls ab. Wie ist das zu verstehen? Das heißt doch, dass diese Länder sich das Recht herausnehmen, ungestraft Kriegsverbrechen zu begehen. Die drei Staaten sind offenbar zu groß, um dem Völkerrecht unterworfen zu sein. Das weckt düstere Gedanken. Wir müssen damit rechnen, dass diese Staaten sich einen sich einen Dreck darum scheren, ob ihr Handeln rechtlich in Ordnung ist, dass sie anderen auf etwaige Anklagen mit Hohnlachen reagieren. Arg weit haben es die Menschenrechte und ihre juristische Durchsetzung bisher nicht gebracht. Sowohl Den Haag als auch die Vereinten Nationen sind zahnlose Tiger.
Kategorie: Recht
Offene Fragen
In Sindelfingen gab es am 15. November einen zweieinhalbstündigen Geschichtsunterricht im Odeon, dem Saal der Jugendmusikschule. Gesprochen hat der österreichische Historiker Stefan Karner. Sein Thema: Siegfried Uiberreuther. Er war in den Jahren 1938 bis 1945 der mächtigste Mann der Steiermark und ein gehorsamer Diener seiner nationalsozialistischen Herren. Er hat viele Menschen auf dem Gewissen und war vor auch an der Erstellung des sinnlosen Ostwalls beteiligt, der Tausenden jüdischen Mitmenschen das Leben gekostet hat. In Eva Menasses Roman „Dunkelblum“ lässt sich diese üble Geschichte nachlesen. Uiberreuther hat es nach dem Krieg geschafft, sich der fälligen Strafe zu entziehen. Er floh und galt lange Zeit als verschollen. Manche vermuteten ihn in Argentinien. Erst Jahre nach seinem Tod 1984 wurde öffentlich bekannt, dass er mit seiner Familie in Sindelfingen Unterschlupf gefunden hatte. Die Familie bestand aus seiner Frau, einer geborenen Wegener, die Tochter des berühmten Geowissenschaftlers Wegener, und aus drei Söhnen, die alle in Sindelfingen eine neue Identität bekommen haben. Die Firma Bitzer nahm Uiberreuther, der sich nun Schönharting nannte, als Mitarbeiter auf, die Stadtverwaltung Sindelfingen versorgte ihn mit neuen Papieren. Am Ende der Veranstaltung blieben einige Fragen offen: Warum ging der Kriegsverbrecher aus der Steiermark ausgerechnet nach Sindelfingen? Hat er dort in frommen Kreisen Verständnis für seine mörderische Vergangenheit bekommen? Welche Rolle hat der damalige Oberbürgermeister gespielt, den man auch zu den Frommen im Lande Württemberg zählen durfte? Wer hat sonst noch Bescheid gewusst, den Mund gehalten und sich damit der Strafvereitelung schuldig gemacht?
Wohlfeile Ratschläge
Es ist unstrittig, dass die Bilder vom Krieg in der Ukraine schrecklich sind, es herrscht auch Einigkeit, dass der Frieden dem Krieg vorzuziehen ist. Und es wäre wirklich eine gute Nachricht, wenn sich die Kriegsparteien (also der Angreifer und der Angegriffene) auf einen Waffenstillstand oder gar eine Friedenslösung einigen könnten. Es zeugt von Verantwortungsgefühl, wenn 28 Menschen der Feder und des Geistes unsere Regierung beschwören, alles zu tun, um eine diplomatische Lösung zu erreichen. Was sie aber auch fordern: Verzicht auf Waffenlieferungen. Die Logik ist bestechend: Wenn die Ukraine sich militärisch nicht verteidigen kann, weil ihr die Waffen fehlen, muss sie kapitulieren. Auch das wäre eine Art von Frieden. Im Text der Schreiberschar heißt es sinngemäß: Eine zweite ‚Grenzlinie‘ sei das menschliche Leid der ukrainischen Zivilbevölkerung. Es sei die Frage, ob die weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung moralisch verantwortbar sei. Darüber dürfe nicht allein die ukrainische Regierung entscheiden, so die Unterzeichner. – Wer entscheidet dann, wenn man die Ukraine in dieser Frage entmündigt hat? Die Verantwortung für eine Eskalationsgefahr gehe auch diejenigen an, die dem Aggressor ‚sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern‘. Also den Lieferern von Waffen. Sie sollen die Ukraine durch einen Lieferungsstopp zum Frieden zwingen. Ein merkwürdiges Argument. Wir sind die, die besser wissen, was für das angegriffene Land gut ist. Dieser moralische Imperialismus hat in Deutschland eine lange, unselige Tradition.