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Gescholtenes Deutschland

Eigentlich sind wir – mit Blick auf unsere Selbsteinschätzung – die Besten. Aber es scheint, wir müssten diesen Satz fortan im Präteritum schreiben oder wenigstens im Perfekt, dann würde nach den Regeln der Tempus-Verwendung die Aussage immerhin noch in die Gegenwart hineinreichen. Vor einem Jahr hatten wir wenig Schulden. Denn die Schuldenbremse hatte gewirkt. Sie war eingeführt worden, um der nächsten Generation nicht so viele Lasten aufzubürden. Aber dann kam das Virus und wir konnten, ja mussten wohl viel Geld ausgeben, um der gegenwärtigen Generation nicht so hohe Lasten aufzubürden. Das Dumme an der Sache: Es hakt bei der Software, die bei den Hilfsanträgen zum Einsatz kommt. Daher zieht sich die Auszahlung hin. Überhaupt liegen wir mit dem Digitalen im Clinch. Wir schließen einen digitalen Pakt, aber seine Einhaltung scheitert an der Bürokratie. Wir richten Impfzentren ein und eröffnen sie nicht. Als Exempel sei der Landkreis Böblingen genannt. Warum wird nicht eröffnet? Weil es kaum Impfstoffe gibt. Warum dann vorher diese (teure) Eile? Sie hat nur Erwartungen geweckt, die nicht einzuhalten sind. Wir sind treue Europäer, doch wir sorgen nicht dafür, dass der Laden in Brüssel läuft. Jetzt muss sogar die Dame von der L. zugeben, dass Fehler gemacht wurden. Warum sind wir ihr nicht in den Arm gefallen, ehe die Fehler passierten? Derzeit machen wir einen großartigen Lockdown, aber werden sich unsere MP*innen einigen können, wann er ein Ende haben soll? Wenn die Inzidenz „deutlich unter 50“ ist, heißt es, dann soll wieder Normalität einkehren. Aber was ist „deutlich“? 40 oder 35 oder gar 10? Wir waren auch schon mal besser im Ankündigen. Wir waren in vielen Bereichen schon mal besser. Auch unsere Schulen sollten besser werden, ward uns versprochen. Jetzt geht es darum, dass wir nicht noch viel schlechter werden.

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Schulische Fastenzeit

Bald wird die Zeit, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre Schule nicht mehr von innen gesehen haben werden, länger sein als die üblichen Sommerferien. Auch wenn es nicht der Raum ist, der den Lernprozess maßgeblich bestimmt, so geht es doch ohne ihn auch nicht. Denn im Raum sitzt man mit 25 anderen zusammen, hat neben sich einen ungewaschenen Mitschüler, vor sich zwei tuschelnde Mitschülerinnen. Ganz vorne steht jene Person, die den Ablauf der Stunde bestimmt. Sie spricht, gibt Anweisungen, läuft kontrollierend durch die Reihen, mahnt zu Ruhe, wird lauter oder schweigt, gibt Antworten auf Fragen, lässt ein Gespräch entstehen oder würgt es ab, hält Ergebnisse an der Tafel oder auf einer Folie fest oder diktiert eine Zusammenfassung ins Heft. Diese Lehrperson wird meist hingenommen, manchmal auch geschätzt oder abgelehnt. Sie weiß Bescheid, aber sie irrt sich auch. Sie überschätzt den Erkenntnisprozess oder nervt durch Wiederholungen des sattsam Bekannten. Die Mitschüler*innen sind aktiv oder passiv, interessiert oder gelangweilt, sie lesen unter der Bank oder tippen auf ihr Smartphone, sie nehmen den Unterricht ernst oder haben keinen Bock darauf. Ihnen ist es egal, ob unter der Arbeit eine Drei oder Vier steht, oder sie regen sich auf, weil ein Punkt in der Arbeit übersehen wurde und es keine Eins gereicht hat. Die einen heben die Hände nach einer Frage, die anderen denken an etwas anderes und schalten ab. Manche sehnen die Pause herbei oder das Ende des Vormittags. Es ist der banale Alltag in der Schule, der seit Monaten fehlt. Stattdessen: Videokonferenzen, E-Mails, eine Lehrerstimme aus dem Tablet, die man mit Mühe versteht, Bilder, die langweilen, Aufgaben, die man auf die digitale Reise schickt und auf die es manchmal sogar eine Antwort gibt. Aber es fehlt der Geruch des Schulhauses und der Austausch mit den anderen, es fehlen die Appelle der Lehrer*innen und die Ängste und Freuden bei der Rückgabe von Arbeiten. Schule, du fehlst.

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Freiwillige Impfpflicht

Freiwillig“ und „Pflicht“ – passt das zusammen? Ja, nur so fügt es sich sinnvoll. Seine Pflicht zu tun, das wissen wir seit Kant, ist eine autonome Vernunftentscheidung des Individuums. Wer sich nur gezwungenermaßen pflichtgemäß verhält, handelt unfrei. Er ist ein Sklave, ein Opfer, ein fremdbestimmtes Wesen. Schiller sagt es freundlicher: Man soll das Notwendige mit Einsicht tun. Wer sich mit kruden Begründungen vom Impfen befreit, wer dummes Zeug nachschwätzt, um den Piks zu vermeiden, der vergeht sich an der Gesellschaft, der er angehört, die ihn schützt und ihm die Bedingungen einer eigenständigen privaten Existenz ermöglicht. Wasser, Gas und Strom, Verkehrsmittel, ärztliche Versorgung, kulturelle Angebote, schulische Bildung, das alles kann der Einzelne nicht allein hervorbringen. Es ist das Werk des Ganzen, des Staates, der Solidargemeinschaft oder wie wir sie nennen wollen. Die ist derzeit bedroht durch eine Infektion. Das gab es schon früher: Pest und Cholera, Tuberkulose, Pocken und Influenza, Masern und Kinderlähmung – sie alle haben die Menschheit bedroht. Sie zu bekämpfen, gab es oft keine Mittel. Jetzt, gegen Covid-19, gibt es sie. Da gehört es sich einfach, da ist es die Pflicht jedes Staatsbürgers, seinen Teil dazu beizutragen, dass diese Geißel der Menschheit niedergerungen wird. Häckerling weiß, dass die Schulen zurzeit andere Probleme haben, aber die Vermittlung einiger grundlegender ethischer Gedanken der deutschen (und europäischen) Geistgeschichte sollte nicht ersatzlos wegfallen.