Am kommenden Montag, dem letzten Tag im August 2020, geschieht in den Schulen des Landes Merkwürdiges. Kinder und Jugendliche sitzen in den Ferien mehr oder weniger freiwillig in den frisch geputzten Klassenräumen und werden von mehr oder weniger freiwillig dafür eingesetzten Lehrkräften beschult. Weil es heutzutage immer eines griffigen Ausdrucks bedarf, nennt das Kultusministerium diese Aktion „Lernbrücke“. Brücken dienen der Überquerung von Flüssen oder anderer Hindernisse. Offenbar gibt es unter den Schülerinnen und Schülern welche, die jenseits des Abgrunds stehen geblieben sind, während das Gros ihrer Lerngenossinnen und –genossen diesen offenbar schon überquert haben und bereits weitergewandert sind. Zur Erinnerung: Beim ersten Lockdown haben es die Verantwortlichen für ratsam gefunden, Kitas und Schulen zu schließen und die Kinder und Jugendlichen der Obhut von Mutter und Vater zu überlassen. Gelegentlich wurden die Familien mit analogem oder digitalem Lernmaterial versorgt. Eine Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden fand naturgemäß (oder sagen wir besser: dem Stand der Technik gemäß) nur sporadisch statt. Die Folge: Manche haben zu Hause regelmäßig gelernt und vielleicht sogar was dazugelernt, manche aber kaum. Letztere sind vor dem Abgrund der Schwierigkeiten des Lernstoffs stehen geblieben. Nun hat man ihnen eine Brücke gebaut, um ihnen das Weitergehen auf dem schulischen Wanderpfad zu erleichtern. Hoffentlich nutzen sie das Angebot und hoffentlich ist das Lernprogramm auf der Brücke so, dass es Nutzen bringt.
Monat: August 2020
Löcherige Präsenz
Die Schulpflicht werde nicht außer Kraft gesetzt, verlautet aus dem Kultusministerium, aber die Schülerinnen und Schüler hätten keine Präsenzpflicht, sondern sollten selbst entscheiden, ob sie in den Unterricht kommen wollen. Früher nannte man das ein contradictio in adiecto, einen Widerspruch in sich selbst. Nach der geltenden Schulbesuchsverordnung müssen die Schulpflichtigen im Unterricht präsent sein, es sei denn, sie sind verhindert, befreit oder beurlaubt. Die Entbindung vom Schulbesuch spricht der Klassenlehrer oder die Schulleitung aus. Dazu müssen triftige Gründe vorliegen (Krankheit zum Beispiel). Ob jemand in die Schule zu gehen hat, liegt nicht in seinem Ermessen. Das bedeutet das Wort „Schulpflicht“. Das Fehlen bedarf einer Erlaubnis. Nun kann es natürlich Corona-Gründe geben, die einen Schulbesuch unmöglich machen, etwa die Infektion von Vater oder Mutter. Die rechtfertigt die Befreiung natürlich. Allerdings genügt ja wohl nicht die bloße Behauptung der Infektion. Sie muss nachgewiesen werden. Das dürfte kein Problem sein. Sollte der eher seltene Fall eintreten, dass ein Kind zur „Risikogruppe“ gehört, weil es Diabetes hat oder herzkrank ist, ist es selbstverständlich verhindert, in die Schule zu kommen. Früher gab es bei Kindern, die längere Zeit im Krankenhaus lagen, die Möglichkeit des Einzelunterrichts in der Klinik. Dafür stellte der Arbeitgeber Extra-Stunden zur Verfügung. Bei Viruskranken ist dieses Verfahren nicht möglich. Aber es gibt ja inzwischen elektronische Möglichkeiten des Unterrichtens. Dass ein solcher Einzelunterricht einer besonderen Honorierung bedarf, ist selbstverständlich. Hier sind andere, individuelle Formen des Unterrichtens geboten. Das alles ändert aber nichts am Grundsatz der Schul- und Präsenzpflicht. Es sind Einzelfälle und geregelte Ausnahmen.
Überforderte Verwaltungen
Rasch sind die Politikerinnen und Politiker mit dem Wort, doch auf der administrativen Ebene stoßen die Realitäten hart aufeinander. Das musste jetzt sogar der zweite Aufsteiger des Jahres (neben dem Gesundheitsminister), der bayerische Ministerpräsident, unerwartet erfahren. Dass man für Massentests nicht nur massenhaft Tests braucht, sondern auch Menschen, die sie durchführen und vor allem ein durchdachtes System der Kommunikation, das wissen Regierende im Prinzip schon. Aber sie delegieren solche Aufgaben gerne „nach unten“. Und wenn es dort unten auf den Falschen bzw. die Falsche trifft, dann ist der Schlamassel da. Der hat natürlich auch einiges mit der deutschen Wirklichkeit zu tun, täglich zu erleben bei Restaurantbesuchen oder beim Eintritt in Bibliotheken. Dort stehen hübsche Bistro-Tischchen. Darauf lagert eine Einführung in die Hygienevorschriften. Zu ihnen gehört auch das Ausfüllen eines Formulars, in das der Name, der Wohnort, die E-Mail-Adresse oder die Telefonnummer einzutragen ist. Die Eintragung erfolgt mit dem bereitgelegten Kugelschreiber. Sollte nun tatsächlich eine Infektion auftreten, muss jemand die zahlreichen Zettel sichten, sich mit Unleserlichem abmühen, die Namen in neue Listen übertragen und hoffen, dass es sich bei den Eintragungen um nichts Erfundenes handelt. Die armen Tester in Bayern sollen derzeit 44000 Zettel durcharbeiten und Listen erstellen, von denen Häckerling inständig hofft, dass sie datenbanktauglich sind. In einem Land, wo Bleistift und Kuli den Höhepunkt digitaler Nutzung darstellen („digitus“ ist ein lateinisches Wort und heißt „Finger“), ist das nicht selbstverständlich. Wie schön wäre es, wenn Politiker nicht nur große Aktionen anleiern würden, sondern sich auch um den Fortschritt im Kleinen kümmerten.