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Digitale Wunschreligion

Der Plan in Tahmima Anams Roman „Unser Plan für die Welt“ (erschienen 2022 bei Hoffmann und Campe) besteht darin, die religiösen Bedürfnisse der Menschen zu stillen. Die App wendet sich nicht an jene, die fest in einer Religion verankert sind, sondern an die Suchenden, die Unentschlossenen. Manchen gefällt ein Brauch im Christentum und zugleich ein buddhistischer Kult. Sie finden im Islam Riten, die ihnen etwas bedeuten, und Gedanken und Bilder in der Kultur, die sie bewegen. Religion, Musik, Bildende Kunst oder Literatur, Philosophie oder Ethnologie liefern die Bausteine, die den Nutzern je nach Interesse digital „angeboten“ werden. Programmiert wurde das Ganze von Asha, die mit der Autorin ihre Herkunft aus Bengalen gemeinsam hat. Das „Material“ für den Algorithmus liefert Cyrus, ein belesener Charismatiker. Die beiden heiraten. Ihr Konzept hat großen Erfolg, ihre Ehe nicht. Offenbar treffen sie den Nerv jener Menschen, die sich nicht mehr mit dem Oberflächlichen der sozialen Medien zufrieden geben wollen. Aber als sie in ihr Projekt auch noch ein Programm aufnehmen, das eine Art „Kommunikation“ zwischen Lebenden und Toten ermöglicht, kommt es zu einer Katastrophe, die Ashas und Cyrus‘ Werk zu zerstören droht. Tahmima Anam hat in den USA studiert und lebt in Großbritannien. Sie erzählt flott und mit viel Humor. Zugleich stellt ihre Geschichte grundsätzliche Fragen zum Umgang mit der Religion und dem Tod in einer Zeit zunehmender Bedrohung. Die Erzählung endet 2020 mit dem Beginn der Pandemie, deren Auswirkungen die Autorin mit großer Skepsis entgegensieht. Anams literarische Stimme verdient Gehör.

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Identische Zeitungen

Den Zeitungen geht es nicht gut. Sie sind in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Zahl der Abonnenten nimmt ab, die Werbeeinnahmen sinken. Das Internet mit seinen Nachrichtenkanälen ist eine übermächtige Konkurrenz. Also muss man in den Verlagen sparen. Das geschieht durch den Abbau von Personal und die Zusammenlegung der Redaktionen. Die beiden Stuttgarter Zeitungen (die eine heißt „Zeitung“, die andere „Nachrichten“) haben ihre Redaktionen vereinigt. Sie bringen die gleichen Artikel, etwas kaschiert durch verschiedene Fotos oder unterschiedliches Layout. Manchmal kommen die gleichen Texte ein paar Tage zeitversetzt. Man soll es nicht merken, aber es lässt sich nicht verbergen. Noch trüber sieht es bei den Lokalzeitungen aus. Die Sindelfinger Zeitung ist weitgehend mit den Stuttgarter Nachrichten identisch, weil sie deren Mantel übernimmt, die Kreiszeitung bringt im übergeordneten Teil die Meldungen der Stuttgarter Zeitung, Der Lokalteil, bisher noch auf den Landkreis Böblingen zugeschnitten, ist seit Kurzem identisch mit der Stuttgarter Zeitung. Wer bisher beide Zeitungen bezogen hat, kann sich eine sparen. Es ist schade ums Papier, das eh so knapp ist. Also haben wir die Kreiszeitung abbestellt. Ob das der Sinn dieser Einsparungsmaßnahme war? Mit dieser Veränderung einher ging die Auflösung der Kulturseite. Sie ist im übrigen Lokalen „untergegangen“. Nur mehr die überregionale Kultur hat ihre zwei Seiten am Tag. Sie ziert das Ende des Blattes, „hinter dem Sport“. Ein weiterer Nebeneffekt der „Reform“. Die Buchtipps von Häcker(ling) – drei davon liegen noch auf Vorrat bei der Kreiszeitung – erscheinen nicht mehr. Was soll er damit nun tun? Vielleicht taucht ab und an einer in diesem Blog auf.

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Gasförmige Erregung

Es war eigentlich zu erwarten, dass durch Nord Stream 1 wieder Gas fließen würde. Schließlich wollen die Lieferanten ihr Gas loswerden und Geld verdienen. So ein Krieg ist schließlich nicht billig. Die Aufgeregtheit in diesem, unserem Lande war in den letzten Wochen reichlich hoch. Man spielte Szenarien durch, mimte den Katastrophenfall, stritt über die Bevorzugung bestimmter Gruppen von Gaskunden – die Privathaushalte oder die Industrie – als ob nicht beide wichtig wären. Im Grund geht es um ein ausgewogenes Beliefern aller. Die deutsche Panik muss den russischen Kriegsherrn belustigt haben, konnte er sich doch allerlei Szenarien ausdenken, wie er uns im Westen ärgern könnte. Das müssten wir inzwischen gelernt haben: Der Mann mit dem Vornamen Vladimir (Waldemar) ist ein gewiefter Spieler. Er ist ein Mann der Überraschungen, der mal das eine sagt, mal das andere, aber dann evtl. etwas ganz anderes macht. Er scheint uns im Zocken immer einen Zug voraus zu sein. Und das Gas? Wir werden welches haben, aber natürlich nicht so viel, dass wir es vergeuden können. Also ist der Gedanke, sparsam damit umzugehen, gut. Aber eigentlich sollten wir ja mit den Ressourcen immer sparsam umgehen.